Kohlenlieferung und neue Tätigkeitsfelder – Teil 2
In Hennehof klingelt die Zugmeldeleitung aus Hohnstadt und der 74693 wird gemeldet. Karola stellt die Einfahrt nach Gleis eins und ruft Otto an, dass der Materialzug gleich hier ist. „Endlich neues Klopapier.“, sagt sie grinsend und erklärt Kathrin kurz den Sinn und Zweck der Materialzüge. Alle 14 Tage fahren die jeden Bahnhof an der Strecke an und versorgen die Dienststellen mit den nötigen Verbrauchs- und Versorgungsgütern. Sanitärartikel, Arbeitskleidung, Gardienen, Zugmeldebücher, Berichtigungen und Ergänzungen der Dienstvorschriften und heute sogar Kohle – alles, was das Eisenbahnerinnenherz begehrt.
Arne rollt mit seinem kleinen Zug zügig über die Strecke. Altmann ist mit Langenhold am Lästern fachsimpeln, hat aber immer ein Auge auf Arne. Das Vorsignal von Hennehof kommt näher und die Baken huschen am Seitenfenster vorbei. Noch bevor Arne die dritte Bake erreicht hat, beginnt das Vorsignal Vs gelb zu blinken und Arne registriert bereits die Langsamfahrt, als sein Lehrlokführer anfängt: „So mein Junge, jetzt langsamer werden, die werden uns in die eins nehmen. Wenn du die beiden gelben Lichter am Einfahrsignal übereinander siehst, geht es da immer hin – kannste dir schon mal merken. Am Stellwerk hälst du dann so an, dass die letzte Achse an dem gelben Gleisanschlusskasten der Weiche vorbei ist. Dann löst es bei denen da oben auf. Dann drückst du wieder soweit zurück, dass der erste Kohlewagen am Kellerfenster stehenbleibt. Schaffste das nicht, schippste. Verstanden?“ Arne nickt und grinsend haut er ihm auf die Schulter und wendet sich seinem Gespräch mit dem Lademeister wieder zu.
Als Arne an Signal S vorbeizieht, zeigt dies die beiden besagten Lichter. „Na, was heißt dieser Fahrbegriff, junger Kollege Lokführer?“ Die Signalbegriffe hat Arne schon gelernt, ganz unvorbereitet wollte er nicht sein, außerdem hat er das schon mit Oehsendreher aus Wahrensberge genug üben dürfen. „Auf vierzig ermäßigen, Halt erwarten.“ Der Lehrlokführer nickt zufrieden. Arne nimmt die Leistung raus und lässt sich ausrollen. Klappernd geht es über die Einfahrweichen, Arne nimmt das Bremsventil zurück und zischend entweicht etwas Bremsdruck. Langsam kommen sie an das Stellwerk heran, oben geht das Fenster auf und Kathrin grinst nach unten. Der Wagen, die Lok und vor allem der Lokführer kommen ihr doch bekannt vor. Sie winkt, Arne hebt die Hand zum Gruß. Schnell verschwindet sie wieder und ihre Stimme erklingt aus dem Lautsprecher: „74693 hat gelangt, anhalten.“ Die Fahrstraße hat aufgelöst und nachdem die Weichen 43 und 44 wieder in die Pluslage gestellt sind, ruft Kathrin nochmals aus: „74693 zurückdrücken.“ Arne legt die Fahrtrichtung um, löst die Bremsen und gibt ein klein wenig Schub auf die Raketen. Die Fuhre rollt etwas an und schon säuselt Kathrins Stimme über Lautsprecher: „74693 anhalten.“, und punkgenau kommt der Zug zum Stehen.
Arne will von der Lok, hoch zu seiner Kathrin. „Moment, Kollege, wohin so eilig?“ Kathrin schaut wieder aus dem Fenster und Arne schmachtend zu ihr hoch. „Ah, ich verstehe.“, sagt der Lehrlokführer, „Die jungen Leute von heute. Der Herr möchte bitte die Lok ordentlich abstellen, dann kann er nach oben zu seiner Pause gehen.“ Arne stellt den Motor ab, zieht die Handbremse an und will losstürmen. „Moment noch.“, mischt sich der Lademeister ein. „Du kannst gleich die beiden Kisten mit nach oben nehmen – kein Weg umsonst und schon gar nicht leer.“ Als Arne am Materialwagen ankommt, sieht er wie Hintenrum abspringt und sich die Kohlengabeln schnappt. Der schaut ihn nicht an und gewinnt eiligst Land. Otto hat inzwischen die Kohlenschurre an das Kellerfenster angesetzt und gemeinsam beginnen sie die schwarzen Eier vom Wagen zu schaufeln. Eine Tonne muss in den Keller, das wird etwas dauern. „In ner halben Stunde biste wieder unten.“, sagt sein Lehrlokführer, der mit dem Lademeister zum Dorfkonsum schlurft, um ihre gemeinsame bekannte Frau Stengel zum Mittag dort besuchen. Arne steigt in den Wagen und sucht die beiden Kisten für das Stellwerk. In der Ecke liegt der große Aufsteller mit ihm und Kathrin darauf. Auf seinem Gesicht ist deutlich ein Fußabdruck zu erkennen und das Holz scheint leicht gesplittert zu sein. Bei Kathrin ist das Papier abgeschabt und die Augen irgendwie ausgekratzt worden. „Hhmm.“, macht Arne und fängt an zu lachen. Sowas kommt von sowas, denkt er bei sich und läuft hoch zu seiner Kathrin.
Als Arne oben ankommt, wird er von Kathrin mit einer wilden Umarmung begrüßt und man tauscht einige seiner Körperflüssigkeiten aus. „Ach der Arne, na dann mal rein in die gute Stube. Du kannst dich in die Pausenecke setzen und lenkt mir ja nicht meine Zugmelderin ab.“, sagt sie grinsend zu ihm. Zu Kathrin macht sie eine zwinkernde Bewegung in Richtung Pausentisch. „Geh schon, kommt eh nichts gerade.“ Das lässt sich die schöne Knappschritt nicht zweimal sagen und beiden haben ihre verdiente Pause. Unten poltern die Kohlen im Takt in den Keller. Nach zwanzig Minuten ist es plötzlich still. Kurz danach geht die Tür vom Stellraum auf und Otto verlangt den Zug zum Empfangsgebäude. Dort muss nochmal eine Tonne Kohle (und bis zum Beginn der Heizperiode werden es nochmal zwei sein) abgeladen werden. Otto schaut fordernd auf Arne. Sein Lehrlokführer ist noch nicht zurück. Er überlegt. Das bekommt er auch allein hin, ist ja nur ein kurzes Stück. Kathrin macht ein betrübtes Gesicht. „Schon?“, fragt sie. „Ja, lass mal die Kollegen ihre Arbeit machen. Du kannst auch gleich den Mittagszug für Gleis drei ansagen.“, hört sie von Karola. Solange der Materialzug in Gleis eins steht, läuft der gesamte Personenverkehr über den Mittelbahnsteig. Karola hat bereits schon die nötigen Hilfssperren an den betreffenden Fahrstraßenhebeln angebracht. Sicher ist sicher, man weiß ja nie, ob man/Frau sich nicht doch mal vergreift. Die Verabschiedung des Eisenbahnerpaares fällt genauso aus wie die Begrüßung. Otto schaut immer ungeduldiger.
Gemeinsam gehen Arne und Otto nach unten und dort trennt er auf Ottos Wunsch den Materialwagen von den Kohlewagen. Eine Stunde darf der hier so stehenbleiben – Luft ist drauf und die Bremsklötze liegen an. Die Handbremse noch angezogen, zurück auf die Lok und startklar gemacht. Als er den Motor anlässt, fragt er, ob die beiden mitkommen wollen. Otto steigt auf, er muss ihm ja auch den Halteplatz zeigen, seine ehemaliger Oberindianer stapft allerdings schweigend an der Fuhre vorbei und geht zügigen Schrittes zum Empfangsgebäude.
Dort angekommen geht die Schipperei der
Braunkohlenbriketts von Neuem los. Die Arbeit lässt Hintenrum im Gesicht immer
dunkler erscheinen. Man könnte meinen, echte Arbeit lässt Grüne Rote
wieder normal aussehen – ob sie dabei auch auf vernünftige Gedanken kommen, ist
dabei aber nicht erkennbar. Kurz darauf erscheinen die restlichen beiden
Kollegen der Truppe. Altmann ist über Arnes selbstständiges Arbeiten erfreut.
„So lob ich mir das, mein Herr.“, bekommt Arne zu hören. „Haste schon was
gegessen?“ Arne schüttelt den Kopf, seine Brotbüchse liegt auf dem Führerstand,
nebst einer Flasche Selters. „Dann mach deine Pause, du hattest ja bestimmt bis
eben alle Hände voll zu tun.“ Lachend geht er mit dem Lademeister zur alten
Güterabfertigung und beide verteilen diverse wichtige Versorgungsgüter. Arne
soll die fünf Kartons für das Chefbüro und den Sozialraum (extra
Sanitärartikel) in den Vorraum vom Chefbüro stellen. In den Sozialraum geht ja
nicht, da wohnt ja immer noch Cordula. Das hatte schon mal den Vorteil, dass
die Gardienen dieser Räumlichkeiten wieder an ihre Clipse gefunden haben.
Arne hat es sich auf dem Führerstand der kleinen Lok bequem gemacht. Plötzlich wird das monotone Schippgeräusch von einer Durchsage unterbrochen. „Achtung Reisende, aus betrieblichen Gründen verkehrt der Personenzug nach Hohnstadt heute von Gleis drei. Sie können die Gleise nach Bahnsteig zwei jetzt überqueren. Vorsicht bei der Einfahrt des Zuges.“ Klack. Eine schöne Stimme, denkt Arne. Ganz im Gegenteil zu Hintenrum, als er die Durchsage hört, wird sein Kopf hochrot. Nicht vor Anstrengung, sondern vor Wut. Alles deren Schuld, wenn die sich nicht so quer gestellt hätten, wäre ich jetzt nicht hier. Na wartet noch. Im Kopf des gebeutelten Meldeaugust erblühen Rachepläne.