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    Kohlenlieferung und neue Tätigkeitsfelder – Teil 2

    In Hennehof klingelt die Zugmeldeleitung aus Hohnstadt und der 74693 wird gemeldet. Karola stellt die Einfahrt nach Gleis eins und ruft Otto an, dass der Materialzug gleich hier ist. „Endlich neues Klopapier.“, sagt sie grinsend und erklärt Kathrin kurz den Sinn und Zweck der Materialzüge. Alle 14 Tage fahren die jeden Bahnhof an der Strecke an und versorgen die Dienststellen mit den nötigen Verbrauchs- und Versorgungsgütern. Sanitärartikel, Arbeitskleidung, Gardienen, Zugmeldebücher, Berichtigungen und Ergänzungen der Dienstvorschriften und heute sogar Kohle – alles, was das Eisenbahnerinnenherz begehrt.


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    Arne rollt mit seinem kleinen Zug zügig über die Strecke. Altmann ist mit Langenhold am Lästern fachsimpeln, hat aber immer ein Auge auf Arne. Das Vorsignal von Hennehof kommt näher und die Baken huschen am Seitenfenster vorbei. Noch bevor Arne die dritte Bake erreicht hat, beginnt das Vorsignal Vs gelb zu blinken und Arne registriert bereits die Langsamfahrt, als sein Lehrlokführer anfängt: „So mein Junge, jetzt langsamer werden, die werden uns in die eins nehmen. Wenn du die beiden gelben Lichter am Einfahrsignal übereinander siehst, geht es da immer hin – kannste dir schon mal merken. Am Stellwerk hälst du dann so an, dass die letzte Achse an dem gelben Gleisanschlusskasten der Weiche vorbei ist. Dann löst es bei denen da oben auf. Dann drückst du wieder soweit zurück, dass der erste Kohlewagen am Kellerfenster stehenbleibt. Schaffste das nicht, schippste. Verstanden?“ Arne nickt und grinsend haut er ihm auf die Schulter und wendet sich seinem Gespräch mit dem Lademeister wieder zu.


    Als Arne an Signal S vorbeizieht, zeigt dies die beiden besagten Lichter. „Na, was heißt dieser Fahrbegriff, junger Kollege Lokführer?“ Die Signalbegriffe hat Arne schon gelernt, ganz unvorbereitet wollte er nicht sein, außerdem hat er das schon mit Oehsendreher aus Wahrensberge genug üben dürfen. „Auf vierzig ermäßigen, Halt erwarten.“ Der Lehrlokführer nickt zufrieden. Arne nimmt die Leistung raus und lässt sich ausrollen. Klappernd geht es über die Einfahrweichen, Arne nimmt das Bremsventil zurück und zischend entweicht etwas Bremsdruck. Langsam kommen sie an das Stellwerk heran, oben geht das Fenster auf und Kathrin grinst nach unten. Der Wagen, die Lok und vor allem der Lokführer kommen ihr doch bekannt vor. Sie winkt, Arne hebt die Hand zum Gruß. Schnell verschwindet sie wieder und ihre Stimme erklingt aus dem Lautsprecher: „74693 hat gelangt, anhalten.“ Die Fahrstraße hat aufgelöst und nachdem die Weichen 43 und 44 wieder in die Pluslage gestellt sind, ruft Kathrin nochmals aus: „74693 zurückdrücken.“ Arne legt die Fahrtrichtung um, löst die Bremsen und gibt ein klein wenig Schub auf die Raketen. Die Fuhre rollt etwas an und schon säuselt Kathrins Stimme über Lautsprecher: „74693 anhalten.“, und punkgenau kommt der Zug zum Stehen.


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    Arne will von der Lok, hoch zu seiner Kathrin. „Moment, Kollege, wohin so eilig?“ Kathrin schaut wieder aus dem Fenster und Arne schmachtend zu ihr hoch. „Ah, ich verstehe.“, sagt der Lehrlokführer, „Die jungen Leute von heute. Der Herr möchte bitte die Lok ordentlich abstellen, dann kann er nach oben zu seiner Pause gehen.“ Arne stellt den Motor ab, zieht die Handbremse an und will losstürmen. „Moment noch.“, mischt sich der Lademeister ein. „Du kannst gleich die beiden Kisten mit nach oben nehmen – kein Weg umsonst und schon gar nicht leer.“ Als Arne am Materialwagen ankommt, sieht er wie Hintenrum abspringt und sich die Kohlengabeln schnappt. Der schaut ihn nicht an und gewinnt eiligst Land. Otto hat inzwischen die Kohlenschurre an das Kellerfenster angesetzt und gemeinsam beginnen sie die schwarzen Eier vom Wagen zu schaufeln. Eine Tonne muss in den Keller, das wird etwas dauern. „In ner halben Stunde biste wieder unten.“, sagt sein Lehrlokführer, der mit dem Lademeister zum Dorfkonsum schlurft, um ihre gemeinsame bekannte Frau Stengel zum Mittag dort besuchen. Arne steigt in den Wagen und sucht die beiden Kisten für das Stellwerk. In der Ecke liegt der große Aufsteller mit ihm und Kathrin darauf. Auf seinem Gesicht ist deutlich ein Fußabdruck zu erkennen und das Holz scheint leicht gesplittert zu sein. Bei Kathrin ist das Papier abgeschabt und die Augen irgendwie ausgekratzt worden. „Hhmm.“, macht Arne und fängt an zu lachen. Sowas kommt von sowas, denkt er bei sich und läuft hoch zu seiner Kathrin.


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    Als Arne oben ankommt, wird er von Kathrin mit einer wilden Umarmung begrüßt und man tauscht einige seiner Körperflüssigkeiten aus. „Ach der Arne, na dann mal rein in die gute Stube. Du kannst dich in die Pausenecke setzen und lenkt mir ja nicht meine Zugmelderin ab.“, sagt sie grinsend zu ihm. Zu Kathrin macht sie eine zwinkernde Bewegung in Richtung Pausentisch. „Geh schon, kommt eh nichts gerade.“ Das lässt sich die schöne Knappschritt nicht zweimal sagen und beiden haben ihre verdiente Pause. Unten poltern die Kohlen im Takt in den Keller. Nach zwanzig Minuten ist es plötzlich still. Kurz danach geht die Tür vom Stellraum auf und Otto verlangt den Zug zum Empfangsgebäude. Dort muss nochmal eine Tonne Kohle (und bis zum Beginn der Heizperiode werden es nochmal zwei sein) abgeladen werden. Otto schaut fordernd auf Arne. Sein Lehrlokführer ist noch nicht zurück. Er überlegt. Das bekommt er auch allein hin, ist ja nur ein kurzes Stück. Kathrin macht ein betrübtes Gesicht. „Schon?“, fragt sie. „Ja, lass mal die Kollegen ihre Arbeit machen. Du kannst auch gleich den Mittagszug für Gleis drei ansagen.“, hört sie von Karola. Solange der Materialzug in Gleis eins steht, läuft der gesamte Personenverkehr über den Mittelbahnsteig. Karola hat bereits schon die nötigen Hilfssperren an den betreffenden Fahrstraßenhebeln angebracht. Sicher ist sicher, man weiß ja nie, ob man/Frau sich nicht doch mal vergreift. Die Verabschiedung des Eisenbahnerpaares fällt genauso aus wie die Begrüßung. Otto schaut immer ungeduldiger.


    Gemeinsam gehen Arne und Otto nach unten und dort trennt er auf Ottos Wunsch den Materialwagen von den Kohlewagen. Eine Stunde darf der hier so stehenbleiben – Luft ist drauf und die Bremsklötze liegen an. Die Handbremse noch angezogen, zurück auf die Lok und startklar gemacht. Als er den Motor anlässt, fragt er, ob die beiden mitkommen wollen. Otto steigt auf, er muss ihm ja auch den Halteplatz zeigen, seine ehemaliger Oberindianer stapft allerdings schweigend an der Fuhre vorbei und geht zügigen Schrittes zum Empfangsgebäude.


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    Dort angekommen geht die Schipperei der Braunkohlenbriketts von Neuem los. Die Arbeit lässt Hintenrum im Gesicht immer dunkler erscheinen. Man könnte meinen, echte Arbeit lässt Grüne Rote wieder normal aussehen – ob sie dabei auch auf vernünftige Gedanken kommen, ist dabei aber nicht erkennbar. Kurz darauf erscheinen die restlichen beiden Kollegen der Truppe. Altmann ist über Arnes selbstständiges Arbeiten erfreut. „So lob ich mir das, mein Herr.“, bekommt Arne zu hören. „Haste schon was gegessen?“ Arne schüttelt den Kopf, seine Brotbüchse liegt auf dem Führerstand, nebst einer Flasche Selters. „Dann mach deine Pause, du hattest ja bestimmt bis eben alle Hände voll zu tun.“ Lachend geht er mit dem Lademeister zur alten Güterabfertigung und beide verteilen diverse wichtige Versorgungsgüter. Arne soll die fünf Kartons für das Chefbüro und den Sozialraum (extra Sanitärartikel) in den Vorraum vom Chefbüro stellen. In den Sozialraum geht ja nicht, da wohnt ja immer noch Cordula. Das hatte schon mal den Vorteil, dass die Gardienen dieser Räumlichkeiten wieder an ihre Clipse gefunden haben.


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    Arne hat es sich auf dem Führerstand der kleinen Lok bequem gemacht. Plötzlich wird das monotone Schippgeräusch von einer Durchsage unterbrochen. „Achtung Reisende, aus betrieblichen Gründen verkehrt der Personenzug nach Hohnstadt heute von Gleis drei. Sie können die Gleise nach Bahnsteig zwei jetzt überqueren. Vorsicht bei der Einfahrt des Zuges.“ Klack. Eine schöne Stimme, denkt Arne. Ganz im Gegenteil zu Hintenrum, als er die Durchsage hört, wird sein Kopf hochrot. Nicht vor Anstrengung, sondern vor Wut. Alles deren Schuld, wenn die sich nicht so quer gestellt hätten, wäre ich jetzt nicht hier. Na wartet noch. Im Kopf des gebeutelten Meldeaugust erblühen Rachepläne.

    Donnerstag - Kohlenlieferung und neue Tätigkeitsfelder


    001-Morgen


    Kathrins Frühdienst mit Karola läuft am Vormittag normal. Gegen zehn klingelt die Rufleitung vom Chef an. Kathrin geht ran und wird gleich vom Hahn gefragt, ob sie für Ilona nächste Woche Dienstag die Spätschicht übernehmen könne. Eine der Katzen hat ihre Routineuntersuchung wegen deren Nierensache und es gibt doch so schwer Termine. Kathrin sagt, dass sie nächste Woche noch einmal Berufsschule hat und am Montag, Mittwoch und Freitag ihre theoretischen Prüfungen schreibe. Das wäre kein Problem, meinte Hahn nur, am Dienstag ist doch normaler Unterricht, das ist doch nicht so anstrengend. Sie kann doch bereits um 13:00 Uhr schon den Unterricht verlassen und gleich rüber zum Bahnhof gehen, um 13:28 Uhr fährt der Personenzug in Richtung Dröpsenstedt, der ist um 13:38 Uhr in Mehlsdorf, also kann sie um 13:45 Uhr den Dienst auf B1 übernehmen. Es gebe auch Pauschalentlohnung. Kathrin, sagt, dass sie Ilona zuliebe den Dienst übernimmt, Hahn sagt er schreibe es in den Dienstplan und legt auf. Kopfschüttelnd legt Kathrin den Hörer auf die Gabel. „Wenigstens Danke hätte der mal sagen können.“ Karola schaut etwas mitleidig zu ihr und sagt: „So ist das öfter hier, du musst aufpassen, wie oft und vor allem zu was du ja sagst.“ Kathrin nickt nur. „Mit wem habe ich den Dienst dann eigentlich?“, fragt sie. „Na mit mir.“, antwortet Karola mit einem überschwänglichen Lächeln und zwinkert ihr zu. „Wir machen uns da einen ganz gemütlichen Abend.“


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    Etwa zur gleichen Zeit in Hohnstadt. Am Ladegleis der Materialwirtschaft wird ein fast vergessener Wagen beladen. Die Messekommission hatte das Glühlampenprojekt nach erneuter Prüfung sang- und klanglos vor zwei Wochen gestrichen. Die entsprechende Mitteilung ging beim (Ex) FDJ-Sekretär ein. Man sei erschüttert über solch einen Unfug, vor allem weil wichtige volkswirtschaftliche Ressourcen dafür zweckentfremdet wurden und die Jugend nun sicherlich einen völlig falschen Eindruck von Neuerer-Vorschlägen habe. Eine schriftliche Stellungnahme (mindesten sechs Schreibmaschinenseiten) erwarte man in zwei Wochen. Nun ja, zumindest das hat sich für diesen jetzt erledigt – auf ihn warten jetzt andere Aufgabenbereiche. Gestern kam der Delinquent spät nachts nach Hause. Seine Büroschlüssel sollte er gleich in der Außenstelle lassen, seine Sachen werden ihm nach gründlicher Prüfung nachgeschickt. Da man auf seine Arbeitskraft bei der Deutschen Reichsbahn leider nicht ganz verzichten konnte, wurde er nun vorerst als Ladehelfer für den Materialzug zugeteilt. Nach kurzer Einweisung durch den Lademeister Alfred Langenhold, ist er nun damit beschäftigt allen möglichen Kram für die Dienststellen an der Strecke in den neuen Materialwagen zu laden.


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    Arne ist bei der Lokbehandlung beschäftigt. Er betankt die Kleinlok mit dem nötigen Diesel und seine Kollegen sich mit dem mitgebrachten Bier von Arne. Der neue Kollege auf dem Materialzug lehnt allerdings ab. Arne schaut rüber und kneift die Augen zusammen. Ist das nicht…? Na, da brat mir doch einer nen Storch, denk er bei sich. Was macht der denn hier? Alfred Langenhold kommt zu ihm rüber und grinst Arne an. „Was gugsten so?“ „Der Neue da drüben, seit wann issn der hier?“ „Ach der.“, grinst der Lagerarbeiter und reibt sich die Hände. „Hat Mist gebaut und ist von seinen eigenen Leuten hierher geschickt worden. Ist den ersten Tag hier. So ist das bei denen dort im Laden, kannst ganz schnell wieder unten liegen. Wieso fragsten, kennste den?“ Arne erzählt kurz seine und die Geschichte von Kathrin. Das Grinsen von Alfred wird noch breiter. „So ein Tag, so schön wie heute…“, entfernt er sich pfeifend rüber zum Materialwagen. Fiedrich Altmann, Arnes Lehrlokführer, holt Arne zu sich ran und weist ihn an, die Lok für die Abfahrt zu inspizieren. Kontrolle der Schmierstoffe, Lager und elektrischen Einrichtungen. Dabei schaut er ihm prüfend über die Schulter und nickt zufrieden. „Da haben die dir drüben in Wahrensberge schon ordentlich was beigebracht. Gute Jungs da. Los hoch mit dir, wir müssen rüber zur Kohle und die Vorratswagen abholen.“ Als sie langsam rüber in Richtung Gleis 86 rollen, kann Arne noch hören, wie Alfred den neuen Kollegen anweist die Kohlengabeln einzuladen, die wird er wohl heute noch brauchen.


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    In 86 bleiben sie kurz vor der Sh2-Scheibe stehen. Sein Lehrlokführer schaut ihn an und fragt ihn wie er denn nun weiterwolle. Arne schaut fragend. „Hast du den Gleisplan mit Weichen und Fahrmöglichkeiten nicht kennengelernt?“ Arne schüttelt den Kopf. „Was machen die mit euch da in der Lehrbude eigentlich? Das ist alles nicht mehr das, was es mal war.“, brubbelt der vor sich hin. „Na pass jetzt ganz genau auf. „Wir sind gerade in 86 und wollen rüber nach 104 zur Kohle. Sind alles Handweichen hier und die Rangierer lassen uns hier so lange in Ruhe, bis wir weg sind. Die kommen uns also auch nicht in die Quere. Oben auf dem Turm weiß der Kurze auch Bescheid, dass wir hier rumfahren.“ Arne grinst, als er hört, dass Opitz hier unten wohl der Kurze ist. „Na los, dann sag mir mal wie wir fahren und wie die Weichen zu legen sind.“


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    Arne schaut angestrengt auf das Gleiswirrwar. Er denkt an Wahrensberge, da war das noch schlimmer, also wird er das hier wohl hinbekommen. „Wir fahren jetzt rüber über die Weiche da vorn…“ „Moment, mein Junge. Hier hat alles seine Ordnung. Wir sagen von wo wir kommen und wo wir hinwollen. Wenn wir auf Signal oder Anweisung von oben fahren (dabei zeigt er hoch zum Turm), dann stellen die die Weichen für uns. Hier drüben machen wir das, sind ja alles Handweichen. Also nochmal – wie fahren wir.“ Arne überlegt, die beiden Tage Weichenschmieren haben Einiges in seinem Kopf hängenlassen. Er versucht es erneut: „Von 86 über 56 in plus, 54 in Minus, 53 a in Minus nach Gleis 73 und dann über 50 in Minus nach 104.“ „Na wird doch. Fahrwegprüfung nicht vergessen, bevor du losfährst.“, freut sich der Altmann und lässt Arne alles alleine machen. Fahren, Weichenlegen, Kuppeln und den ganzen Weg zurück. In 73 lassen sie den Flachwagen stehen und holen den Materialwagen ab. Arne muss immer vorher ansagen, wie er fahren will.


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    Am Ladegleis stehen die beiden Kollegen und warten. Als sie aufsteigen wollen, stellt sich Altmann vor die Tür. „Moment mal die Herren. Das wird aber enge. Dreie können hier oben, wir sind schon zwee-e, nu rechnet mal.“ Langhold schaut auf seinen neuen Kollegen. „Die neuen fahren immer im Materialwagen mit. Da kannst es dir schön bequem machen.“ Ohne ein Wort setzt sich der neue Kollege in Bewegung und verschwindet im Wagen. Als er weg ist, fangen der Lokführer und der Lademeister prustend an zu lachen. „Das wird noch ein Spaß mit dem. Lässt sich alles gefallen, hat die Hosen gestrichen voll, dass die ihn doch noch in den Bau stecken, wegen seiner Kokelei am Bahndamm.“ Zu Arne: „So, Junge, wir fahren jetzt vor bis zum Zwerg und dann kannst uns nach 43 anmelden, von da fahren wir auf Signal aus.“ Er hält ihm das Funkgerät hin. „Wir sind Rosi 102.“ Das mit dem Turm anfunken hat sich Arne gemerkt und es klappt problemlos rüber in das Ausfahrgleis zu kommen. Nach zwanzig Minuten und einer Zigarettenlänge leuchten das Ra12 und die Lichter am Signal N auf und die kleine Fuhre des Wirtschaftszuges setzt sich in Richtung Hennehof in Bewegung.


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    Hintenrums große Veränderung – Teil 2


    Marcel Opitz und Ronald Schmalzer haben heute früh ihren Dienst auf dem B2 in Hohnstadt begonnen. Ein ganz normaler Tag, nichts Aufregendes. Bis zum Mittag. Gerade hat der dienstbeflissene Fahrdienstleiter seine Erbsensuppe mit Eberswalder Würstchen (die dann doch nur eine fleischähnliche Substanz aus dem Wurstwarenkombinat Leipzig waren) verdrückt, da schrillt der Störungswecker „Signale“. „Was ist denn nun schon wieder los?“, brummelt der und stellt laut klappernd den Teller in das Abwaschbecken der kleinen Küche oben auf dem Turm in Hohnstadt-Ost ab. Opitz drückt die Bimmel weg und schaut nach der Ursache. Der Vorsignalwiederholer Ve ist erloschen. Erinnerrungen an den Blitzeinschlag kommen wieder hoch – nicht schon wieder!


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    Er ruft den diensthabenden Signalwerker an und veranlasst Rückmelden sowie Vorsichtsbefehl wegen erloschenem Vorsignal für alle Züge in Richtung Hohnstadt. Die werden sich freuen. Zwei Minuten später ertönt der Signalwecker erneut. Opitz entfährt ein unfeiner Fluch. Einfahrsignal A erloschen. Noch einmal Hennehof rufen und Befehl erweitern auf erloschenes Einfahrsignal. Gut, der Signalwerker müsste ja gleich da sein. Drei Minuten später der nächste Alarm: Signal C auch erloschen, gefolgt von Vd – jetzt ist auch noch die Güterstrecke betroffen. Das kann doch nicht wahr sein! Also das volle Programm Rückmelden und Ausfahrt auf Ersatzsignal in Hennehof. Da dürfen die Mädels dort auch wieder die Lokführer mit ihrer persönlichen Anwesenheit beglücken, wenn sie die Vorsichtsbefehle austragen – jeder kommt auf seine Kosten.


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    Die Laune von Opitz hebt das aber trotzdem nicht (er hat ja nicht denselben Blick wie die Lokkutscher). Wenigstens sind die Signalwerker nach zwölf Minuten schon da. S-Postenleiter Gründraht ist heute höchstpersönlich die Bereitschaft. Nach einem zehnminütigen Besuch im Relaisraum des B2 hat er die Ursache gefunden und kommt wieder hoch auf den Turm. „Das kommt aus der Kabeltrasse. Kurzschlüsse und ein gewaltiger Erdschluss.“ Opitz nickt mit dem Kopf. Und wie nun weiter? Gründrahts zweiter Mann Rigoletto trifft ein. Der misst zur Sicherheit auch nochmal. Dasselbe Ergebnis. „Da unten fliegen mir ja fast im Minutentakt die Sicherungen um die Ohren.“, lamentiert der. „Kurzschlüsse in Mengen – hat da einer die Trasse durchgehackt?“ „Es hilft nichts.“, sagt Gründraht, „Wir müssen raus auf die Strecke und bis zu den Einfahrsignalen in Richtung Hennehof alles abfahren.“


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    Die Signalwerker fordern den SKL an. Zum Glück steht der an seinem Platz vorn bei der Bm. Die beiden Herren machen sich auf den Weg. Nach weiteren 15 Minuten klingelt das Telefon und man bittet um Ausfahrt. Opitz schickt die schnelle signaltechnische Hilfe in Richtung Ausfahrsignal. Ab dem Zwischensignal D dann als Rangierfahrt, somit ist die Strecke dann erst mal dicht.


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    Langsam rollt die kleine Fuhre an den Kleingärten entlang. Vorn bei den Weichen der Ausfädelung des Güterringes entdecken sie Rauch aus einem anscheinend frisch abgefackelten Hügel aus Gartenabfällen. Nur nicht auffallen, weiterfahren. Den müssen die Genossen auf frischer Tat ertappen. Sie rollen langsam weiter in Richtung nächsten Signalfernsprecher. Der steht draußen an Einfahrsignal A, was ebenfalls dunkel ist. Sie fahren auf den Gleisstummel am alten W3 und stellen dort ab. Rigoletto läuft nach vorn zum Einfahrsignal und steuert zielstrebig die Fernsprechbude an. Die Sprechverbindung geht noch und das Wort Sabotage macht von da aus die Runde.


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    Das Geschehen nimmt seinen Lauf. Nach zwanzig Minuten trifft ein Lada mit zwei Transportpolizisten ein. Einige Leser werden diese beiden Herren bereits schon kennen. Mirko Melder und Daniel Dengler waren heute als Zivilstreife am Bahnhof Hohnstadt unterwegs. Leider ohne Erfolg, weder ein unrechtmäßiger Einkäufer im Intershop war dingfest zu machen noch ein Fotograf, der die Errungenschaften des sozialistischen Transportwesens auf Agfa-Color bannen wollte. Nun sind sie hier und wittern die Chance auf ihre lang anstehende Beförderung. Zu den Einfahrsignalen führt kein direkter Weg, also parken sie ihr Kfz am Feldweg – den Rest müssen sie über die feuchte Wiese laufen.


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    Mirko ist unterwegs in irgendwas Weiches getreten und dementsprechend ist seine Laune. Wenn er den erwischt, wegen dem er hier durch die Pampa latschen musste, kann der sich aber frisch machen. Vorn angekommen, steigen sie mit auf den SKL und fahren wieder zurück. Derweil stauen sich die Züge auf beiden Seiten, da die Strecke nun wegen Ermittlungsarbeiten vollständig gesperrt wird.


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    Am Feuerchen angekommen steigen alle ab. Man untersucht den Tatort und wird schnell fündig. Die Spurenlage ist wohl eindeutig. Reifenabdrücke einer Schubkarre lassen sich zum Garten des Kollaborateurs zurückverfolgen. Mirko frohlockt und macht schon mal vorsichtshalber ein eisenhaltiges Abführmittel bereit. Sicher ist sicher – nicht das der noch türmt, genug Schaden angerichtet hat er ja schon.


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    Der FDJ-Guru ist nicht wenig überrascht solchen Besuch in seinem Garten zu erhalten. Zwischenzeitlich hat auch ein blauer Wartburg Tourist auf dem vorderen Parkplatz der Kleingartenanlage eingeparkt. Die Kreisleitung einer gewissen Behörde wird bei dem Wort Sabotage an Bahnanlagen schnell hellhörig und möchte der Sache auf dem Grund gehen. Als diese Herren die Parzelle des Kleingärtners, der inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes klein mit Hut geworden ist, betreten, weicht ihm endgültig seine Gesichtsfarbe. Unter den neugierigen und teilweise hämischen Blicken seiner Nachbarn wird er zu einer Befragung mit in die Zentrale geleitet. Man sah ihn die nächsten Wochen nicht in seinem Garten.


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    Zur selben Zeit versuchen der SKL-Fahrer und Rigoletto den Brand zu löschen. Schaufeln und Gabeln sind an Bord des SKL. Sie ziehen den Brand auseinander. Dieser lag genau über der Kabeltrasse, die so zugewuchert war, dass sie nicht mehr zu erkennen war. Dann begann die Kabelflickerei. Nach drei Stunden war der Schaden behoben – die Verspätungsminuten aller Züge ergab eine vierstellige Zahl.

    Über Nacht wurde die Ordnung des Büros des Kleingärtners neu arrangiert und fand sich am nächsten Morgen in einer etwas anderen Konstellation wieder. Seine Dienstschlüssel lagen auf einem Tisch in der Kreisdienststelle der gewissen Behörde. Die Personalabteilung des Reichsbahnamtes war über die mehr als unglücklichen Umstände zur Abwesenheit des FDJ-Sekretärs am heutigen Tag auch schon umfassend informiert worden. Personelle Veränderungen wurden veranlasst.

    Für Kathrin ein ganz normaler Arbeitstag, nur Spätschicht – 14 Uhr Arbeitsbeginn. Heute mit Karola. Noch immer sind nicht alle Planstellen besetzt und aus dem Grund kann der Vier-Brigadeplan nicht richtig funktionieren. Aber am Freitag soll Ilona endlich wiederkommen. Die Katzen sind gesund und Ilonas Daumen auch. So kann Kathrin an diesem Tag frei nehmen, anschließend noch die letzten zwei Wochen Berufsschule und dann hat sie ihren Facharbeiter in der Tasche. Endlich richtig Geld.

    Arne sollte heute den ersten Tag auf der Mehlsdorfer Kleinlok sein, ist aber in Hohnstadt in der Einsatzstelle „hängengeblieben“. Für sein Zuspätkommen darf er die Werkstatt aufräumen und später den Materialzug beladen. Morgen soll er eine entsprechende „Entschädigung“ (auch dafür, dass über dieses kleine Missgeschick nichts aus den Mündern aller Beteiligten heraus, dafür aber etwas anderes hineinkommt) früh gleich mitbringen. Aber um die beiden soll es hier heute nicht gehen – heute hat jemand anderes seinen großen Auftritt in:


    Hintenrums große Veränderung – Teil 1


    Erich Hintenrum – nicht nur treuer Genosse und Denunziant, sondern auch Kleingärtner. Er hat es geschafft, eine der wenige Parzellen gegenüber der Arbeiterschließfächer am Juri-Gagarin-Ring zu bekommen.


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    Der Sklave des Warenwirtschaftssystems Werktätige des Arbeiter- und Bauernstaates soll sich natürlich auf angemessene Weise erholen können – am besten innerhalb der schönen Republik. FDGB-Ferienplätze sind rar und auch nicht das ganze Jahr verfügbar. Was lag da näher als der eigene kleine Garten – natürlich auch gern unter Kontrolle der sozialistischen Partei-und Staatsführung. Gerade diese kleinen Oasen, in der sich viele unbeobachtet fühlen, sind wahre Goldgruben für den einen oder anderen operativen Bericht. So auch für IM Vorhängeschloss – alias Erich Hintenrum.

    Er genießt es in seinem großen Garten alles in Ordnung zu halten, vor allem den Rasen. Hintenrum liebt Rasen, der ist so schön grün und am besten in einheitlicher Länge und kurz gehalten. Gern hätte er den ganzen Garten mit dem grünen Rasen überzogen, aber das geht nicht, die Satzung, quasi das Grundgesetz der Kleingartenanlage, untersagt das. Blöde Satzung, aber ein Stückweit konnte er diese Regelungen schon umgehen – den richtigen Leuten an der entsprechenden Position sei Dank. Gerd Duckmichel im Vorstand drückt nicht nur ein Auge zu, sondern hat ihm auch den Nachbargarten zugeschanzt, nachdem der IM dafür gesorgt hatte, dass der ursprüngliche Besitzer sich jetzt in geschlosseneren Gefilden aufhalten kann. Der Duckmichel gehorcht ihm fast aufs Wort – der Meldeaugust braucht bloß auf seine Machtposition hinweisen und ein wenig Angst mit den Konsequenzen der bevorstehenden Klimakatastrophe der falschen politischen Einstellung machen, schon ist der ruhig.


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    Das ewige Getrimme des Rasens hat aber auch seine Nachteile, der entstehende Abfall. Man besitzt nicht die Kapazitäten und auch nicht die Geduld alles auf biologische Weise zu entsorgen. Außerdem wächst ständig das Gestrüpp der unbewirtschafteten Nachbarparzelle durch seinen Zaun, was das Problem nicht gerade verkleinert. Alles muss beschnitten und entsorgt werden. Auf seiner Parzelle hat sich über Wochen oder gar Monate hinweg der Gartenabfall nur so aufgetürmt. Er hatte bisher keine Zeit sich um diesen Krempel zu kümmern.

    Zu oft und zu lange war er in seinem Büro. Nirgendwo geht es so richtig vorwärts. Die jungen Leute, die er für seine Projekte aufgetrieben hatte, haben sich alle irgendwie abgeseilt. Die eine hängt jetzt in Hennehof rum, soll einmal eine der offenen Fahrdienstleiterstellen besetzen und fährt wie eine Wilde mit ihrer Schwalbe durch die Gegend. Letztens muss mit der irgendwas passiert sein. Sein Führungsoffizier hat die in seinem Bericht erwähnt, Rettungswageneinsatz und all so´n Kram. Die soll denen förmlich über das Dach ihres Wagens geflogen sein.


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    Und der Arne, Hintenrum´s zweites Standbein, ist jetzt komischerweise ihr Macker geworden. Die stecken bestimmt öfter unter einer Decke – aber er hat einfach nichts Handfestes, um die beiden festzunageln. Es scheint kein rankommen an die beiden zu sein. Dass der Bengel jetzt auch noch Rangierlokführer werden soll, vereinfacht die Sache in keinster Weise, sondern ganz im Gegenteil, es entfernt den aus seinem Einflussbereich. Wo haben die nur solche Kontakte, dass denen sowas möglich ist?

    Trübe Stimmung für einen Herrn Hintenrum. Genauso wie das Wetter, den ganzen Tag war es trübe und immer wieder Nieselregen. Wenigstens ist es warm, schon fast drückend. Der Herr IM will seine Stimmung aufheitern, also muss ein Erfolgserlebnis her. Gartenabfälle beseitigen, wenigstens der Dreck ist dann weg. Traditionell beseitigt man überflüssige Gartenabfälle schon seit Jahren am Rande des Bahndammes. Dort ist ja genügend Platz und es fällt keinem in diesem Gesträuch auf. Und wenn die Haufen dann doch mal zu groß werden, wird der ganze Mist kurzerhand abgefackelt. Daran stört sich Niemand. Ganz seine Denkweise.


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    Gerade schiebt er die vierte Karre voll biologischem Abfalls an den Gärten vorbei. Die Gedanken fließen. Er betrachtet den Gärten seiner Nachbarn. Gleich neben ihm erblüht die Parzelle der Brettschneiders. Die hat er auch auf dem Kieker. Wo haben die die ganzen schönen Pflanzen her? Vom VE Kombinat Pflanzenzüchtung und Saatgutwirtschaft Quedlinburg kann das alles nicht stammen. Das sieht nach einem Kontakt in das NSW aus, wahrscheinlich irgendein holländischer Freund, der ihnen dieses Zeug besorgt hat. Das gilt es herauszufinden, aber die Herrschaften sind nicht sehr auskunftsfreudig. Lieber weiter, bevor die Laune wieder trüber wird.


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    Blasewitz ist in seinem Garten und hackt seine Beete durch. Hat sich weggedreht, als sich der neugierige Nachbar genährt hat. Auf ein Tach schön, hat er nur die Hand gehoben und so getan, als wäre der in seine Arbeit vertieft. Gut, an denen gibt es nichts auszusetzen. Unauffällig und gehen ihren gesellschaftlichen Pflichten nach. Beide im FDGB engagiert und er sogar in der Partei. Einzig und allein den roten Hahn oben auf dem Rankengitter kann sich der verdeckte Ermittler nicht erklären. Wozu soll der dienen und was hat der zu bedeuten? Eine versteckte Botschaft? Er bleibt dran.


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    Am nächsten Garten zieht sich sein Magen zusammen. Wegen denen hat er schon Ärger von seinem Vorgesetzen bekommen. Er kann sich noch genau an das Gespräch erinnern. „Noch eine solche Sache und es gibt für dich ernsthafte Konsequenzen!“ Kein schöner Tag war das. Diese Türmlichs! Waren das ganze letzte Jahr kaum in ihrem Garten und im Frühjahr waren sie auch nur dreimal da – die Gehwegplatten liegen immer noch halbverlegt hier rum. Ob er sich die mal mitnimmt? Brauchen können die Tümmlichs die hier nicht mehr, sind aus ihrem Ungarnurlaub nicht zurückgekommen. Mit zwei kleinen Kindern über die Grenze nach Österreich. „Das hättest du doch merken müssen Genosse!“, dröhnt ihm der nächste Gesprächsfetzen durch den Kopf. Wie denn? Kann er denn hellsehen?! Auf dem Rückweg wird er sich zur Entschädigung die Granitplatten vorn am Tor aufladen.


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    Aber jetzt weiter, der Haufen vorn ist fast runtergebrannt. Irgendwie schwelt der nur noch vor sich hin. Das trübe Wetter drückt den Qualm nach unten und es stinkt merkwürdig. Hat er etwa Plastik mit verbrannt? Der Schnelle nach Leipzig trödelt vorbei. Was da wieder los ist? Zum dritten mal ertönt das Achtungshorn der Ludmilla.

    Hintenrum schiebt mit Schwung die letzte Karre Gartenmüll die kleine Böschung hoch und kippt ab. Das Feuerchen will immer noch nicht so richtig. Na egal, das brennt schon runter. Er hat seinen Plan ausgeführt, der Garten ist vom Strauch- und Rasenverschnitt befreit. Schnell zurück und Beine hoch. Jetzt soll ihm keiner mehr kommen – er macht heute nichts mehr.


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    Kathrins 17. Tag (Dienstag) - Kadergespräche


    Der zweite Tag der Woche. Gegenüber dem ersten Tag nicht viel Änderung. Arne ist wieder mit Beate in der Gleiswüste von Hohnstadt unterwegs und beide verteilen dort abwechselnd reichlich Gleitmittel. Die Rangierer haben sie heute früh nach vorn zum alten W3 mitgenommen. Wenn die nachher aus dem Anschluss zurückkommen, fahren sie wieder mit vor. So haben sie für die sieben Weichen hier draußen gut zwei Stunden Zeit. Seine Kollegin ist etwas gesprächiger geworden, allerdings erfährt Arne auf diesem Wege auch Dinge, die er lieber nicht gewusst hätte. Er nickt an den richtigen Stellen und bringt passend ein Hmm oder Aha in das Gespräch ein. Einfach war es wohl für Beate nie, aber was kann Arne da schon groß tun? Er spendiert ein paar Club, dafür gibt sie nachher den Kaffee zum Mittag in der Kantine aus. Am Nachmittag lässt man es noch ruhiger angehen, schließlich werden sie nach Stunden bezahlt und nicht nach Stückzahl und für die vielen Zugfahrten können sie schließlich auch nichts.


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    Auch bei Kathrin gibt es keine großen Veränderungen gegenüber dem vorherigen Tag. Sie übernimmt wieder mit Cordula zusammen die Frühschicht. Vor dem Frühstück schreibt Cordula – wie gestern auch schon – einen Brief an ihren Mann, der in Eggesin das Fürchten lernt und berichtet ihm von den Fortschritten in ihrer Ausbauwohnung. Auch Kathrin darf an den Neuigkeiten teilhaben. Das von Katharina (der) Großen auf dem Brigadefest aufgestellte Programm zum Ausbau der Wohnung durch die Ehemänner der Eisenbahnerinnen beginnt zu greifen. Die neuen Fenster sind eingesetzt, Rohre liegen und die neue E-Verteilung wächst. Dank Claudia hat der Ringtausch der Fenster hervorragend funktioniert. Im alten W2 herrscht jetzt Durchzug, dafür sind die Hühner des ABV sicher vor dem Fuchs, der Hasenzüchter hat neue Fenster in seinem Stall und in Cordulas Wohnung sind neue Doppelglasfenster aus dem Werk VI „Arno Grohmann“ des VEB Bauelementewerk Erfurt in Sebnitz eingebaut.


    002-Wohnung-Hohnstadt


    Ab 10 Uhr haben die beiden Frauen auf dem Stellwerk in Hennehof allerdings alle Hände voll zu tun. Der Dispatcher hat „einige“ Umleiterzüge angekündigt. Fast im Blockabstand rollen die dann in beiden Richtungen durch den Bahnhof. Irgendwo klemmt es wieder und die Abzweigstelle in Neu-Zwintscheritz lässt einen Zug nach dem anderen auf die Dieselstrecke ab. Im gleichen Maße rollen die auch in die Gegenrichtung wieder zurück. Gut für den Kontakt der Laufflächen der Radkörper zu den Schienenköpfen auf den jetzt wieder befahren Gleisabschnitten dort, denn die werden jetzt mal wieder ordentlich geputzt. Der Rost auf den selten befahrenen Gleisen wird somit abgefahren. Der Sicherheit ist das immer dienlich, denn die Gleisstromkreise funktionieren auf dem Prinzip des Stromfusses, den isolierende Stoffe wie Rost oder Sand auf den Schienenköpfen auch gern mal unterbrechen, was zu unschönen und nervenraubenden Störmeldungen auf dem Turm führt. Allerdings ist in Mehlsdorf deswegen jetzt Stau, der sich auch auf Hennehof auswirkt. Zur Abwechslung stehen die Züge jetzt mal nicht in Richtung Hohnstadt, sondern nach Mehlsdorf an.


    003-Umleiter


    Viel Arbeit, wenig Zeit – so vergeht der Tag gefühlt für Kathrin ziemlich schnell. Ihr Feierabendzug hat 15 Minuten Verspätung – der hing vor der Abzweigstelle fest, dafür kam die Kohle pünktlich durch. In der Planwirtschaft wurden und werden durchaus Prioritäten gesetzt. Ein Glück ist Kathrin auf den heute nicht angewiesen, denn sie wird von Papa abgeholt.


    004-Kohlependel


    Nachmittags geht es nämlich zum Reichsbahnamt. Mit ihrem Lada fahren sie dann rüber nach Cöselsbaude. Ihr Vater soll zu den Terminen mit rein kommen, das ist der ausdrückliche Wunsch beider Schwestern.

    Zunächst hatte man dort erst einmal ein Problem. Man würde die Stefanie schon gern in die neue Klasse mit aufnehmen – vor allem bei so einem herausragenden Halbjahreszeugnis der 10. Klasse. Sowas hatte man bisher hier noch nicht gesehen. Ihre soziale Herkunft und die hervorragenden Leistungen ihrer Schwester (wenn die so ist, wird die andere es wohl auch sein – nimmt man an) taten ihr Übriges. Leider ist aber die neue Klasse mit ihren 25 Hanseln schon voll. Was tun?


    In der gemeinsamen Sitzung der Schulleitung, der Personalleitung sowie der Lehrmeister mit einem Vertreter des Rates des Kreises, Abteilung Volksbildung ergab sich dann die Lösung von selbst: Einer der Bewerber hatte sich weiter westlich etwas Anderes gesucht und ein Weiterer ist durch die obligatorische Gesundheitsprüfung gefallen und nur Verkehrsdienst als Spezialisierung wollte der dann auch nicht. Fazit: Schön, das sich ganz kurzfristig noch eine leistungsstarke Bewerberin gefunden hat, um den Laden wieder aufzufüllen – oder im Falle Stefanie eher aufzumischen. Man hofft, dass die Neue das ist, was sie zu versprechen scheint, außerdem muss sie schnellstens noch zum Bahnarzt. Also kam ins Protokoll hinein: Knappschritt, S. baldigst einladen.


    005-Lada-B1


    Vati Knappschritt und Stefanie waren bereits schon eine Stunde früher in Hennehof. Also erst mal rüber zum Empfangsgebäude und sich noch beim Leiter der Dienststelle vorgestellt.

    Hahn ist sehr erfreut eine weitere Interessentin für einen Arbeitsplatz bei der Deutschen Reichsbahn kennenzulernen. Und sie hat Glück, denn hier sind sogar in paar Stellen frei. Natürlich verschweigt er, dass notorischer Personalmangel besteht und bietet gönnerhaft eine freie Stelle für einen B u V Lehrling an. Mit Abitur wäre vielleicht auch möglich, da muss er aber noch Rücksprache halten.

    Ein Teil der praktischen Ausbildung kann auch hier in Hennehof auf dem B1 erfolgen. Man könne sogar den Bereich des Tarifwesens in der hiesigen Fahrkartenausgabe, Auskunft und Gepäckabfertigung abdecken – wenn der Posten endlich wieder besetzt werden würde. Es würde sowieso nur eine oder einer für alles eingestellt werden. Notfalls könne das auch ein guter Lehrling ab dem zweiten Lehrjahr allein machen. Den Gedanken, auch noch den Aufsichtsdienst mit zu übernehmen, behält Hahn dann doch lieber für sich. Man wird doch noch träumen dürfen.


    006-B1-Hennehof


    Hahn geleitet Vati Knappschritt und Stefanie noch rüber auf das Stellwerk und erklärt das dortige Arbeitsfeld. Kathrin ist nicht wenig erstaunt, ihre Familie so kurz vor Feierabend an ihrem Arbeitsplatz zu sehen. Stefanie hört über den zweiten Hörer die Zugmeldegespräche ihrer Schwester und den Nachbarbahnhöfen mit. Gleichzeitig beobachtet sie Cordula bei ihren Arbeitsschritten. Hahn hat sich inzwischen schon wieder in sein Büro verdrückt verabschiedet. Stefanie schwatzt fleißig mit Cordula und dabei fällt auch irgendwann der Ortsname Eggesin. Das ist natürlich das Wort, mit dem der Austausch zwischen den zwei Soldatenbräuten beginnt. Kathrin muss die fahrdienstlichen Aufgaben mitübernehmen und Cordula setzt sich mit ihrer Schwester in die Pausenecke. Von dort hat sie ein Auge auf Kathrin. Vati Knappschritt setzt sich dazu – man genießt frisch gebrühten Kaffee und kommt ins Gespräch. Es wird beschlossen am Sonntag in einer Woche gemeinsam die Männer zu besuchen. Da bekommen die Frischen erstmals Kasernenausgang. Sie dürfen zwar nicht raus, aber ihre Frauen dürfen mit ins Casino. Für Cordula ist das kein Problem, sie hat ihre Dauerfahrkarte. Für Stefanie auch nicht, die hat neben ihrer Sparbüchse auf ihrem Schreibtisch noch ein Geldbündel unter ihrem Schrank mit einer Sturmklammer festgeklemmt. Also Nägel mit Köpfen gemacht – Sonntag früh mit dem ersten Zug geht es los. Schnell schreiben die beiden noch die Briefe mit den Neuigkeiten für ihre Männer und wenn die auch kurz sind, die Empfänger wird es freuen.


    007-Abfahrt


    Feierabend und ab nach Cöselsbaude zum Amt. Vom Pförtner werden sie gleich in die Personalabteilung weitergeschickt. Dort angekommen entschuldigt sich Kathrin für ihr Nichtkommen am letzten Freitag. Das ist nicht so schlimm, so die Personalleiterin, wichtig ist, dass sie beide unverletzt geblieben sind. Man hat hier schon die tollsten Sachen über das Unfallgeschehens gehört. Nach der allgemeinen Begrüßung ruft die Bedienstete der Personalabteilung noch eine weitere Mitarbeiterin hinzu.


    SBWest123


    Kathrin wird der Vorschlag unterbreitet, ab übernächsten Monat die Ausbildung zum Fahrdienstleiter, sowohl theoretisch als auch praktisch im wöchentlichen Wechsel zu beginnen. Die praktische Ausbildung soll in Hennehof, in Hohnstadt und auf dem Abzweig Neu-Zwintzscheritz erfolgen, wobei ihr Heimatbahnhof Hennehof bleibt. Bis dahin soll sie noch ihren Resturlaub nehmen und als Zugmelder in Hennehof tätig bleiben.


    Dann wenden sie sich Stefanie zu. Sie konnte das Halbjahreszeugnis der Zehnten vorlegen. Solche Noten sieht man hier gerne. Man ist sich sicher, dass diese Bewerberin das Niveau der Klasse im Vergleich zu anderen Berufsschulen bestimmt verbessern wird. Stefanie bekommt diese Stelle unter der Bedingung, dass sie die Gesundheitsprüfung besteht. Nächste Woche Dienstag wäre der Termin zur bahnärztlichen Untersuchung und am Donnerstag dann die Vertragsunterzeichnung mit einem Erziehungsberechtigten. Man freut und verabschiedet sich und die Knappschritts begeben sich auf dem Weg nach Hause. Dort warten bereits Arne und Mutter Knappschritt, mit denen die Neuigkeiten ausgetauscht werden.

    Montags in Hohnstadt – Arne schmiert


    So gemütlich wie Kathrin hat es Arne heute nicht. Der Dienst bei den Rangierern ist vorbei. Heute Morgen zur Dienstunterweisung im Lehrmeisterbüro hat Arne seinen Dienstplan für diese Woche bekommen, den er gleich in sein Dienstanweisungsheft einschreiben durfte – nicht, dass er noch was vergisst.

    Heute und morgen darf er zu Beate Gilowski. Das ist die Weichenschmiererin des hiesigen Bahnhofes. Die hat ihre Stube oder eher ihre Kammer mit bei den Rangierern in der Bude. Über diese Dame wurde - vor allem von den Rangieren - schon die eine oder andere Geschichte erzählt. Als Arne mit ihr zusammen den Flur der Rangiererunterkunft entlangging, hörte er nur Wortfetzen von Vernaschen und pass bloß auf dich auf. Lautes Gelächter inclusive. Ab Mittwoch soll Arne dann erst mal bis auf Weiteres nach Mehlsdorf auf die dortige Rangierlok. Der altgediente Lokkutscher steht dort kurz vor seiner wohlverdienten Rente und Arne solle später diesen Posten besetzen. Vorausgesetz er besteht all seine Prüfungen und macht erfolgreich den Kleinlokschein. Bei Letzteren sieht selbst Arne keine großen Probleme, das Andere wird sich schon irgendwie regeln. Jedenfalls wird Friedrich Altmann ihn dort einweisen und ausbilden. Heute und morgen aber erst mal Weichenschmieren.


    006-Lehrmeisterbuero


    Beate Gilowski – die Konifere des Bahnhofes. Mit ihren Mitte 40 lebt sie allein in einer kleinen Wohnung über dem Konsum in Mehlsdorf. Ihr Aussehen ähnelt sehr dem der Geliebten von Popeye und in der Latzhose, die sie immer zum Weichenschmieren trägt, sieht sie aus wie ein 18-jähriger Junge. Rote Haare und Pickel inclusive. Reden ist nicht ihre Stärke – wozu auch, zum Einpinseln der Gleitstühle der Weichen ist sie allein. Nur das Funkgerät beglückt sie mit ihrer Stimme und damit auch den diensthabenden Fahrdienstleiter auf B2. Nach einem festen Plan erfolgt das Schmieren der Weichen. Über Funk meldet sie sich oben auf dem Turm an und teilt mit, an welcher Weiche sie ihr Tageswerk beginnt. Nach der Freigabe durch den Fahrdienstleiter darf sie in den Gleisbereich treten und reichlich Schmierstoff in den Gleisverzweigungen verteilen. So auch heute, nur eben nicht allein, sondern zusammen mit Arne.


    007-Rangiererbude


    Den hat sie lediglich mit einem Nicken begrüßt, sich den Öleimer und den langstieligen Pinselbesen geschnappt und ist über den Flur der Rangiererbude Richtung Ausgang geeilt. Arne glotzt ihr mit halb offenen Mund und leicht verwirrtem Blick hinterher. Brunsen stand vorn an der Tür zum Pausenraum und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Als Beate fast vorn an der Tür war, dreht sie sich um und gibt dem Lehrling mit einem heranwinkenden Arm zu verstehen mitzukommen. Mit zuckenden Schultern setzt sich Arne in Bewegung. „Schnapp sie dir, Tiger.“, hört er vom Rangierlokführer noch, als er nach draußen in den dunstigen Morgen tritt.

    Im Gegensatz zu den letzten Tagen soll die Sonne sich den ganzen Tag nicht sehen lassen. Feuchtigkeit und diverse andere Partikel der umliegenden Betriebe liegen in der Luft. Es riecht leicht nach verbranntem Gummi mit einem Hauch Vanille. Toller Tag denkt sich Arne. Sie laufen ein Stück neben dem Gleisen her, als sie am Stellwerksgebäude vorbei sind, schaltet Beate das Funkgerät ein. „Darius 1 für Rosi 28.“, spricht sie mit einer knarzigen Stimme in das Handteil des RFT UFT 741.


    008-an-51


    Von oben meldet sich Opitz und Beate kündigt sich für Weiche 51 an. Heute stehen sämtliche Weichen des nördlichen Güterbahnhofes und der Abstellgleise auf dem Plan. Opitz gibt ihnen die Erlaubnis in den Gleisbereich treten zu dürfen und mit der Arbeit zu beginnen. Beate taucht ihr Arbeitsgerät in den öligen Eimer und schmiert großzügig den freiliegenden Gleitstuhl der Weiche ein. Als sie damit auf beiden Seiten fertig ist, fordert sie über Funk „Weiche 51 in plus.“ an. Kurz darauf bewegt sich die Weichenzunge und die gegenüberliegenden Gleitstühle werden mit den nötigen Schmierstoffen versehen.

    Auf dem Stellwerk weiß man, an welcher Weiche sich die Weichenschmierer gerade befinden. Für deren Tätigkeit wird jede Weiche in die entsprechende Lage gebracht. Steht eine Zugfahrt an, wird dies über Funk mitgeteilt und die Weiche ggf. wieder in die Ausgangslage zurückgestellt und dann vom Fahrstraßenhebel gegen unbeabsichtigtes umstellen blockiert. Während der Zugfahrt weicht der Weichenschmierer an eine nicht befahrene Weiche im Nachbargleis aus. Dabei muss er immer genügend Abstand zum befahrenen Gleis wahren. Außerdem warnt der Fahrdienstleiter auch vor Fahrten in Nachbargleisen.

    So auch jetzt an Weiche 52. Die eine Seite hat Beate fertig, da kündigt sich über Funk eine Rangierfahrt an. Arne wird von ihr per Handzeichen auf die Seite befohlen. Mehr als danebenstehen kann er sowieso nicht. Er vertreibt sich die Zeit mit Rauchen – sein Vorrat schwindet an diesem Tag schneller als sonst.


    009-Rangierfahrt


    Allerdings nicht nur bei Arne, auch Beate steckt sich regelmäßig ihre Cabinet-Glimmstengel an. Vor allem in den Zwangspausen der Zugfahrten, von denen es vor allem im Bereich der Hauptgleise nicht wenige am Tag gibt. Es hat zu nieseln angefangen und Arne schlägt sich seinen Jackenkragen hoch. Die Hofdame des Bahnhofes klappert mit einem Güterwagen durch und Arne zieht den letzten Zug von seiner Club durch, da fragt ihn Beate. „Willste auch mal ran?“ Der kuckt leicht irritiert. „Hier, halt mal den Pinsel.“, sagt sie nur und deutet auf den freiliegenden Gleitstuhl. „Hier drauf.“, sagt sie und zeigt auf die entsprechende Stellen. Arne taucht den Pinsel in den Eimer und klatscht die Brühe auf die Gleitflächen der Weiche. Beim letzten Eintauchen des Pinsels war kaum noch was an dem Selbigen dran. Beate schaut in den Eimer. „Öl alle.“, gefolgt von „Haste Hunger?“. Bevor Arne was sagen kann, meldet sie sie oben auf B2 ab. „Los, zur Kantine.“, sagt seine Betreuerin und latscht hinter zur Post. Warum nicht, denkt Arne sich, eine Pause in Ehren, kann keiner verwehren, schließlich ist es auch schon kurz nach halb zehn.


    010-zur-Kantine


    Dort angekommen schrubben sie sich erst mal ordentlich mit Waschpaste den Dreck von den Fingern. Kathrin wird wieder was zu meckern haben, die schwarzen Reste unter den Fingernägeln bekommt er nicht weg. Was solls, denkt sich Arne und genießt die etwas längere Frühstückspause mit Kaffee und belegten Brötchen.

    Kurz vor halb elf machen sie sich auf den Weg zurück in Richtung Rangiererbude. Dort füllt Beate neues Öl nach und drückt Arne den Kratzer in die Hand. Damit bewaffnet gehen sie zu den Handweichen der Abstellanlage. Beate wird gesprächiger und erklärt Arne, wie er mit seinem Werkzeug den verkrusteten Dreck von den Gleitstühlen abkratzen kann. „Hier ist es der Staub, der sich in den Weichen festsetzt, die werden einfach zu wenig bewegt. Drüben in den Hauptgleisen liegt was anderes drin.“ Arne schaut sie fragend an. Beate grinst. „Warste schon mal auf Klo im Zug.“ Arne nickt. „Und – wo geht der Mist hin, wenn de datt Pedal am Klo trittst?“ Arne versteht und verzieht das Gesicht. „Morgen.“, sagte Beate nur, „Heute kümmern wir uns um die Handweichen hier drüben.“ und deutet auf die Abstellgleise und die Wirtschaftsgleise der Lokbehandlung, der Wageninstandsetzung und der Lagerwirtschaft.


    011-Abstellanlage


    „Aber mach dir keene Gedanken, den Mist kratzen wa nur im Winter raus, damit nüscht festfriert. Jetzt, wo´s so warm ist, schmiert das zusätzlich die Weichen.“ Arne unterdrückt mit Mühe sein Kopfkino und beginnt an der 53 den Dreck von den Gleitsühlen zu kratzen, während Beate die Lager und Gelenke der Handweichen mit einschmiert. Drüben an der 57 ist mal wieder die Stellstange leicht verbogen. „Die fahren hier immer mit den LKWs rüber und rammeln dabei alles kaputt.“ Sie macht Meldung zum Fahrdienstleiter und der meldet das alles an die Bahnmeisterei. Irgendwann kommt dann einer von denen rüber und kloppt die wieder gerade – nicht das erste und auch vermutlich nicht das letzte Mal. An der 58 bei der Lokbehandlung ist dann mal wieder längere Pause. Nicht wegen Zugfahrten – hier drüben regelt man das unter sich, sondern wegen dem Redebedarf des Schweißers Rudi Blitzer. Hier scheint Beate auf einmal sehr viel reden zu können – was Arne nicht stört. Mehr Zeit für andere Dinge.


    012-Lokbehandlung


    Nach dem Mittag erledigen sie noch das Schmieren der restlichen Weichen im südlichen Rangierbereich und gegen zwei sind sie für den heutigen Tag fertig. Beate schreibt Arne bis drei in sein Heft ein und er darf sich unauffällig vom Gelände entfernen. Morgen stehen dann die Einfahrweichen am alten W3 auf dem Plan.


    013-Haus-K


    Zwei Stunden später kommt Kathrin nach Hause. Arne sitzt im Garten und genießt sein kühles Blondes während Kathrin die Treppen zu ihrem Zimmer hochstapft. Stefanie stürmt mit einem geöffneten Brief aus ihrem Zimmer. „Den habe ich heute gekriegt. Von meinem Ingo. Aus Eggesin!“ Aufgeregt wedelt sie damit vor Kathrins Gesicht rum. Die ist genervt. „Dann beeile dich, dass du noch bis um sechs eine Antwort in den Briefkasten bekommst.“ „Ist schon fast fertig.“, säuselt die Schwester. „Und Briefmarken?“, fragt Kathrin. „Hab ich drauf. Was meinst du, kann ich meinem Ingo schreiben, dass ich nicht schwanger bin? Ich wollte mich doch nur von ihm verabschieden, er sollte merken, dass ich ihn mag und es mir ernst mit ihm ist. Der ist doch jetzt so lange weg und…“ „Ja klar mach doch, wenn es so ist, das geht euch schließlich beide was an.“ meint Kathrin nur noch und will sich in ihr Zimmer verdrücken. Bevor sie ganz verschwindet, dreht sie sich noch einmal um. „Denk dran, morgen geht es zum Reichsbahnamt, der Termin steht fest. Vati kommt mit und holt mich von Hennehof ab, also trödel morgen nicht rum.“ „Ja doch!“, mault die Schwester und schließt geräuschvoll ihre Zimmertür.

    Die VoPo's waren auch sofort eine knappe Stunde später zur Stelle

    Nochmals: Tolle Szene :thumbup:

    Dann eine Frage: Wo hast den VoPo-Lada her?

    Zum Schluss eine Feststellung: Zu DDR-DR-Zeiten hätte es doch eine Szenerie (außer vielleicht an einer stillgelegten Schmalspurstrecke), doch gar nicht geben können, oder? Das große Streckensterben kam doch erst später...

    es gibt auf der Welt momentan sehr viel wichtigere Dinge, als mir ein EEP Modell von Dir zu wünschen.

    Macht die Vorgänge auf der Welt nicht zu euren Problemen, Maßstäben oder Beweggründen eures Handelns (und wenn doch, dann aufrichtig und ehrlich - ohne Heuchelei - wenn ich schon öffentlich Partei für jemanden ergreife, dann sollte das auch ohne Wenn und Aber sein und nicht nur wenn es sicher, kuschelig und ohne Gefahr ist).

    Freude am Leben sollte uns immer erhalten bleiben und wir sollten auch kein schlechtes Gewissen haben, dass auf der Welt Kriege toben. Ihr könnt nichts dafür (verantwortlich sind dafür ganz andere) und lasst euch auch keine Schuld dafür einreden. Auf der Welt war und ist leider schon immer Krieg.

    Lasst euch eure Lebensfreude nicht rauben.

    Montags in Hennehof (Tag 16) – ein stink(langweiliger)normaler Tag


    Der Unfall hat Kathrin noch das ganze Wochenende beschäftigt. Da ist die heutige Frühschicht auf dem Stellwerk eine willkommene Ablenkung. Krank melden wollte sie sich nicht, was sollte sie dem Arzt auch erzählen? Außerdem geht es ihr wieder gut, die Schmerzen im Bein sind weg, ebenso das Pflaster – Kathrin war da etwas zaghafter als ihre Schwester, gut, sie musste ja auch vor keinem prahlen. Der dritte große Schreck innerhalb weniger Tage ist überstanden. Freitagabend nach dem Familienrat hat Vati Knappschritt noch mit seinen beiden Mädels gesprochen oder eher zugehört. Das hat vor allem Kathrin geholfen, die ganz schön daran zu knabbern hatte und noch hat. Stefanie dagegen hatte ihr großes Mundwerk schon gut eine Stunde nach dem Unfall wieder zurück.


    001-Dienstwege


    Zur Arbeit geht es wieder mit dem Zug (ihre Schwalbe ist ja nur noch ein grüner Blechhaufen), das heißt eine Stunde früher aufstehen. Um 5:42 Uhr fährt der Personenzug in Richtung Hennehof an Bahnsteig eins in Hohnstadt ab. Also zu Hause kurz nach fünf loslaufen. Sie erlaubt sich die Dienstwege durch das Bahngelände zu nutzen, sonst müsste sie mit dem Bus fahren und das würde bedeuten noch zeitiger aufzustehen. Der Bus der D-Linie fährt ab Seifenwerk und zwängt sich durch die engen Straßen der Innenstadt und braucht dafür fast 40 Minuten bis zum Bahnhof. Mit Laufen ist sie in gut 25 Minuten da.


    002-Empfangsgebaeude


    Kurz vor sechs steigt Kathrin in Hennehof aus, geht über den Bahnsteig und weiter durch die verwaiste Schalterhalle. Die braunen Vorhänge der beiden Fahrkartenschalter sind schon seit Jahren zugezogen. Auch der danebenliegende Annahmeplatz der Gepäckabfertigung hat schon lange keine Kundschaft mehr gesehen. Es gibt Überlegungen diese Dienstposten zumindest zeitweise wieder zu besetzen – aber es fehlt an willigen und qualifiziertem Personal. Als Kathrin die schwere Eingangstür des Empfangsgebäudes aufwuchtet, fährt Cordula gerade hupend an ihr vorbei. Gegenüber steht der Bus der Linie F mit laut tuckerndem Motor an der Haltestelle. In zehn Minuten geht es zurück zum Bahnhof Hohnstadt über Nord (Neustadt), Industriegebiet Nord durch die Vorstadt zum Bahnhof. Früh ist der immer ab Neustadt rappelvoll, abends das Ganze dann in Gegenrichtung. Kathrin eilt rüber zu ihrem Arbeitsplatz und der Betriebsalltag beginnt.


    003-B2-Hennehof


    Nach dem Frühstück tätigt Kathrin einige Telefonate. Zuerst ruft sie bei der Personaldisponentin des Reichsbahnamtes in Coselsbaude an und vereinbart für Dienstag zwei neue Termine. Natürlich wird sie gefragt, wie es ihr gehe, man hat ja Schlimmes oder eher Erstaunliches gehört. Kathrin schildert knapp ihre Geschichte (nicht zum ersten und wahrscheinlich auch nicht zum Letzen mal). Auch zu Vati gelingt es ihr durchzuwählen, der soll und wollte auch mitkommen und muss dafür ja freinehmen. Für das Wählen aus der BASA in das Postnetz gibt es Tricks. Die heutige diensthabende Fahrdienstleiterin Cordula hat davon ein paar parat und lässt Kathrin an diesem kostbaren Wissen teilhaben. „Man muss nur schön mitzählen.“, meint sie und Fingerspitzengefühl beweisen. Auf diese Weise lässt sich auch die Nummer des Volkspolizeikreisamtes, ohne den Notruf zu nutzen, erreichen. Dort erfährt Kathrin, dass ihre Schwalbe immer noch im Hof des dortigen Amtes in der Ecke der Unfallfahrzeuge steht – oder mehr liegt. Die Auswertung des Unfalls läuft noch. Zwecks Abholung ihres Fahrzeugs oder besser von dem, was noch davon übrig geblieben ist, wird sie noch informiert.


    004-Collid-Chemie


    Auch Mutti Knappschritt kümmert sich heute um zwei Termine. Sie telefoniert mit dem VEB Kraftverkehr Hohnstadt. Beide Mädels sollen dort die Fahrschule fürs Auto machen. Die eine jetzt und die andere etwas später. „Das gefährliche rumgeschrubbe mit den Motorrädern muss endlich ein Ende haben!“ bekamen die Familienmitglieder am Freitag zum Familienrat von ihr noch zu hören.

    Betrieblich ist heute in Hennehof so ein Tag, wäre das B1 ein vollständig ausgebautes Gleisbild II Stellwerk, bei dem Man(n) oder Frau lediglich beide Df-Tasten gezogen lassen könnten. Nur noch abmelden und mitschreiben und dem Dispatcher ansagen. Durchfahren würden die Züge alleine. Man(n) oder Frau könnte so den ganzen Tag mit Fingernägel feilen und Ähnlichem zubringen.


    So ist es hier in Hennehof aber nicht. Weichen drehen, Fahrstraßen festlegen (beides beschädigt bei den Fahrdienstleiterinnen die Fingernägel schon genug) und Signale auf Fahrt stellen, Fahrstraßenhebel zurücklegen (auch das feilt die Fingernägel weiter etwas ab) sowie zurückblocken nach Hohenstadt. Das alles ist hier in Hennehof tägliches Geschäft. Der Vorblock geht mit der neuen Schaltung von allein raus. Von und nach Mehlsdorf geht das schon länger so, manchmal aber auch nicht. Dann muss rückgemeldet und die Signalwerker gerufen werden. Neue und alte Technik mögen sich nicht unbedingt. Es soll aber besser werden, wenn Mehlsdorf an Neu-Zwintzscheritz mit angeschlossen wird. Dann bleibt in Mehlsdorf nur noch die Schranke und ein Nahbedienungsplatz für den Militäranschluss. Wer sich da langweilen zuverlässigen Dienst tun soll, steht allerdings noch nicht fest.


    005-Mehlsdorf-Militaeranschluss

    Hallo ... [passenden Namen einsetzen],


    meine Modellbauaktivitäten stehen bei null und viel wird sich daran im Moment auch nicht ändern. Also wird es diese Modelle von mir erst mal nicht geben.


    LG
    Stefan

    Hab gerade mal draußen nachgesehen - bewölkter Himmel und wird langsam Abend - auch keine Schatten.

    Wird wohl ein globales Klimakatastropehenproblem sein und der Russe ist daran Schuld. :P ;) können wir nur hoffen, das die wiederkommen - also die Schatten, nicht die Russen.

    Kathrins und Stefanies Termin – Teil 3-Erleichterung und neue Ziele


    012-Umarmung


    Gut eine Minute stehen alle drei eng umschlungen vor der Parkbank. Ein bewegender Anblick für die noch dastehenden Schaulustigen. Die schlimmsten Gedanken sind der Mutter nach dem Telefonat durch den Kopf geschossen, bis hin zum schwarzen Wagen, der nun gottlob doch nicht kommen musste. Die beiden Mädels hatten in der Trainingsgruppe Judo anscheinend ganz gut mitgemacht und konnten so Schlimmeres instinktiv verhindern.

    Inzwischen sind die meisten Fahrzeuge schon zur Seite geschoben worden. Mitarbeiter der Stadtwirtschaft verteilen feinen Sand auf der Straße, den sie von der Ladefläche eines Barkas streuen, um die Straße abzustumpfen. Eine Kehrmaschine fängt anschließend an, den Sand wieder aufzunehmen und damit auch Teile des Diesels von der Straße weg zu bekommen.


    013-Kehrmaschine


    Manuela Knappschritt fragt ihre beiden Töchter, ob es ihnen denn wirklich gut gehe und wo ihnen noch was weh tut. Sie lässt sich davon überzeugen, dass die beiden keine weitere medizinische Hilfe benötigen und will nun wissen, wo sie überhaupt hinwollten. Als sie das erfährt, eilt sie rüber zur Telefonzelle und ruft über ihr Vorzimmer die Personalleiterin des Reichsbahnamtes direkt an und sagt beide Knappschritt-Termine für heute erst einmal ab.


    014-Unfallaufnahme


    Die Unfallaufnahme dauert. Der Fahrer des Trabant 600 Kombi schreibt sich ebenfalls alle Namen und Autonummern der unmittelbar Beteiligten auf. Nur die Leute aus dem Wartburg sind nicht sehr gesprächig, außer Kathrin, als unmittelbar Verletzte, haben sie sich zu erkennen gegeben und ihr ein Blatt des Ministeriums übergeben. Etwaige Schadensersatzansprüche melden Sie bitte unter folgenden Adresse…als ob.

    Nachdem alle Formalitäten erledigt und abgeschlossen sind, fährt Manuela ihre Kinder erst mal nach Hause. Jetzt ist die Familie wichtiger. Manchmal kommt es Knüppeldick und dann muss man füreinander da sein. Zu Hause angekommen, schnell ins Haus und endlich Ruhe für alle.


    015-Rueckfahrt-Arne


    Arne wartet seit längerem umsonst auf Kathrin. Sie hatten sich noch am Cafe Mischka neben dem Reichsbahnamt verabredet. Wo bleibt die denn? Ob er mal bei ihr zu Hause anruft? Er versucht es von der Telefonzelle am Bahnhofsvorplatz. 20 Pfennige in den Münzschlitz gesteckt und wählen. Manuela Knappschritt hebt ab. Arne fragt: „Guten Tag, hier ist Arne, ist die Kathrin schon zu Hause?“ „Ja die Kathrin ist schon zu Hause. Komm bitte zu uns. Bis dann.“ Das erste Mal das Arne bei Knappschritts angerufen hatte. Irgendwie hat er ein ganz komisches Gefühl. Er schwingt sich auf seine Simme und düst zu den Knappschritts. Am Thälmann-Platz heißt es erst einmal von der Polizei Schritt fahren, Ölspur! Er sieht die verunfallten Wagen stehen und denkt sich noch – na hier möchte ich nicht dabei gewesen sein. Muss ja ordentlich gekracht haben. Die grüne Schwalbe seiner Liebsten entdeckt er zum Glück nicht.


    016-Arne-bei-Kathrin


    Arne kommt bei den Knappschritts an. Kathrin öffnet die Haustür und kommt leicht humpelnd die Treppe hinunter, umarmt ihn noch vor der Tür und beginnt zu berichten. Manuela ruft leise: „Kommt rein. Nicht hier draußen.“ Beide gehen vorsichtig ins Haus und setzen sich an den kleinen Tisch im Flur. „Hier könnt ihr ungestört reden.“, sagt die Mutter und streicht Arne im Vorbeigehen sanft über die Schulter. Kathrin erzählt weiter vom Unfall. Arne starrt sie mit großen Augen an, als sie fertig ist, kann er nur fragen: „Tut dir noch was weh?“.

    Stefanie ist gerade im Bad und hat an der Tür gelauscht. Ihr Übermut ist schon längst zurückgekehrt. Sie stürmt aus dem Bad und reißt sich dabei das Gothaplast-Verbandpflaster vom Oberschenkel, den sie Arne hinzeigt und mit theatralischer Stimme sagt: „Hier, da hab ich die Spritze reingekriegt!“ dabei zeigt sie auf eine rote und leicht geschwollenen Stelle. „Alles andere konnten wir locker abfedern. Die Spritze hier sollte uns nur beruhigen, jetzt ist das die einzige Stelle, die mir noch weh tut!“ fährt sie großmäulig fort.

    „Kathrins Schwalbe hat es voll erwischt, die können wir jetzt zum Schrott bringen. Das war es damit. Zum Glück bekomme ICH nächste Woche meine Simme. Dann haben wir wieder etwas zum rumfahren.“ Arne wird schlagartig bewusst und ist erschüttert, wie schnell es gehen kann. Andererseits ist er überglücklich, dass seine Freundin unverletzt geblieben ist.

    Kathrin fährt fort: „Ja, das hätte schlimmer ausgehen können, wenn der Trabbi später aufgefahren und ich dadurch zwischen beide Fahrzeuge geraten wäre. Stefanie war da ja schon auf dem Dach des Wartburgs gelandet. Das Auffahren des Trabbis hat mich erst so richtig hochkatapultiert.“ „Das nennt man timing.“, trötet Stefanie wichtig hinterher.

    Nach einem starken Kaffee fährt Mutti wieder zur Arbeit. Zumindest noch die Unterschriftenmappe erledigen und einen Blick in die Verpackungsabteilung werfen, wenn auch erst zur Spätschicht. Das muss heute noch erledigt werden. Mehr nicht. Das Thema Reichsbahnamt spricht sie wohlweißlich erst einmal nicht an.


    017-Knappschritts-Abend


    Am Abendbrottisch sitzen die Schwestern mit Vati und Arne zusammen. Nach dem Tagesthema Unfall versucht Vati seine beiden Mädels aufzumuntern. Irgendwie gelingt es ihm immer wieder Zuversicht zu erzeugen. Das Thema EOS für Stefanie hat er gerade angesprochen, da kommt Mutti Manuela dazu. Auch sie kann verstehen, dass sich viele Schüler, zum Beispiel wegen der Musik oder der Klamotten an den normalen Schulen drangsaliert fühlen. Sie fragt sich nur, wenn Stefanie jetzt zur Berufsschule des Reichsbahnamtes geht, ob es da anders wäre. Dazu kann Kathrin sagen, dass hier wirklich die fachliche Leistung zählt und solche Leute wie Hintenrum an solchen Stellen postiert werden, wo das weniger ausschlaggebend ist. Es wird zwar immer wieder von oben her versucht, die auch an solchen Orten, wie die Reichsbahn-Berufsschule zu platzieren, aber das hält sich in Grenzen.

    Bei einem neuen Termin will Vater Knappschritt gleich mal mitkommen. Nägel mit Köpfen machen. Die Kleine soll das so machen, er sieht keine Nachteile für sie. Egal wo man seine Brötchen verdient, ein bisschen schmecken müssen die schon, Saures gibt es schon zu Genüge.

    Kathrins und Stefanies Termin – Teil 2-Zuständigkeiten und Wichtigtuerei


    006-zu-sich-kommen


    Stefanie hat sich inzwischen vom Autodach herunter rutschen lassen und steht etwas benommen ebenfalls neben dem Wartburg. Langsam kehrt die Wahrnehmung zurück. Erst mal alle Glieder bewegen. Geht noch alles? Ist was gebrochen? Scheint nicht der Fall zu sein. Die Schwestern fallen einander um den Hals. Die Umstehenden können es noch gar nicht fassen, was sich dort gerade vor ihren Augen abgespielt hat und dann sind das auch noch Zwillingsmädels. Das ist doch hier alles ein schlechter Scherz, oder?! Man war sich fast einig, dass es das für die beiden von der Schwalbe wohl gewesen wäre, aber die scheinen noch außerordentlich gut intakt zu sein. Trotzdem versuchen einige unter dem Wartburg den Schwalbefahrer zu finden und zu befreien. Ein ziemliches Durcheinander. Aus anderen Autos steigen Verletzte aus. Ein einziges Chaos.

    Der erste Wagen der SMH trifft ein und hält in Höhe der beiden Knappschritt-Schwestern. Der dient erst einmal als Sammelpunkt. Dort werden die zwei auch sofort aufgenommen. Das müssten doch die gemeldeten Schwerverletzten sein? Der erste Funkwagen der Verkehrspolizei erreicht den Unfallort. Gemeldet wurde ein schwerer VU mit mehreren Verletzen, möglicherweise schwer- und schwerstverletzte, höchstwahrscheinlich von einem Krad Typ Schwalbe. Nachdem der zuerst eingetroffene und zunächst leitende Polizist die Schwalbenbesatzung gefunden hat, geht die Suche nach weiteren Verletzten weiter.


    007-Rettungswagen


    Im Rettungswagen sitzen die beiden Schwestern. Die Verletzungen der beiden sind minimal, erst mal jeder eine Beruhigungsspritze. Außer einem verstauchtem Fuß bei der Sozia und zwei schmerzenden Handgelenken, dazu ein paar blauen Flecken am Po der Fahrerin und natürlich der leichte Schockzustand bei beiden, nichts weiter. Der erste Rettungswagen bleibt zunächst einmal als mobiler Stützpunkt an Ort und Stelle stehen.

    Weitere Rettungs- und Einsatzfahrzeuge treffen ein. Andere Verkehrsteilnehmer hat es viel schlimmer erwischt. Nach fünf Minuten waren die Schwestern aus den Rettungswagen wieder raus und gehen hinkend rüber zu einer Parkbank. Dort setzen sie sich erst mal hin und schauen immer noch etwas benommen auf die Szenerie, in die zusehends Ordnung hineinkommt. Auf der Gegenspur hat es eine Motorradbesatzung schlimmer erwischt. Die werden gerade mit den zwei anderen SMH-Wagen nach Wahrensberge abtransportiert.


    008-Blick-von-Bank


    Neben den beiden Mädels fragt eine ungläubige Stimme: „Kathrin? Stefanie? Seid ihr das?“ Nachbar Spannemann erkennt die verunfallten Knappschritts und fragt sie: „Geht’s euch gut? Soll ich eure Mutter anrufen?“ Auf eine Antwort wartet er nicht, sondern läuft zur nächsten Telefonzelle und ruft bei Collid-Chemie an. Dort verlangt er mit wichtiger und gebieterischer Stimme dringendst Frau Knappschritt. Nach endlosem Verbinden erreicht er endlich Manuela Knappschritts Vorzimmer und wird böse abgewiegelt. „Frau Knappschritt hat Wichtigeres zu tun, als sich mit solchen Kinderein zu befassen!“ Dieses Telefonat wird noch einige Zeit die Kaderabteilung des Chemiewerkes beschäftigen. Jetzt aber kommt der Nachbar erst einmal entgeistert zurück und muss natürlich (nicht gerade leise) allen Umstehenden von seinem soeben Erlebten erzählen.


    009-Diskussion


    Das bekommt einer der Insassen des Wartburgs der Wahrheitsbehörde mit und spricht den leitenden Polizisten daraufhin an. Dieser weiß natürlich wer da vor ihm steht und in diesem speziellen Falle auch, wer da auf der Schwalbe saß. Mit diesem Wissen leitet dieser sofort weitere Maßnahmen ein. Die Zentrale des VPKA wird kontaktiert und hat innerhalb der nächsten Minuten Manuela Knappschritt mitgeteilt, dass ihre beiden Töchter in einen Verkehrsunfall verwickelt sind. Die lässt sofort alle Termine für heute absagen, eilt zu ihrem Dienstwagen und fährt los.


    010-Abfahrt-Mutter


    Ein Arbeitskollege von Manuele Knappschritt erlebte den Unfall ebenfalls als Wartender an der Bushaltestelle mit. Auch er sah, wie die beiden Schwestern ihre Helme abnahmen und hat sie natürlich sofort erkannt. Von besagter Telefonzelle wird nun schon wieder die Nummer des Chemiewerkes gewählt, jedoch diesmal die Direktwahl zum Büro der Mutter. Dort nimmt die Vorzimmerdame ab und antwortet (sichtlich geschockt – denn sie hat inzwischen realisiert, was wirklich vorgefallen ist) „Sie ist gerade weggefahren.“

    Manuela Knappschritt kommt schon kurze Zeit später an der Unfallstelle an. Ja, werden jetzt einige umweltbewusste Leser denken, da hätte sie ja auch hinlaufen können, schließlich ist Collid-Chemie ja nur einen Kilometer vom Thälmann-Platz entfernt. Sicher, aber eine um ihre Töchter besorgte Mutter möchte so schnell wie möglich bei ihren Liebsten sein und außerdem wusste sie bis dahin auch nicht, wie es um die beiden steht und wo sie sonst noch hätte hinfahren müssen.


    011-Schrecksekunde


    Als sie die zerknautschte Schwalbe zwischen den Autos erblickt, schreit sie laut auf. Panisch sieht sie sich um und eilt zu einem ihr bekannten Polizisten – der war einmal ihr Schwarm, das ist aber bald 20 Jahre her. „Harry, hol schon mal den Wagen wo hast Du meine Kinder?“ Er dreht sich leicht zur Seite und deutet auf eine Parkbank gegenüber: „Da sind beide, leicht geschockt, aber der Arzt meint beide wohlauf.“ Manuela fällt ihm um den Hals und sagt nur erleichtert und mit leicht zitternder Stimme „Danke“ und eilt hinüber zu ihren Töchtern.

    Kathrins und Stefanies Termin – Teil 1-kinetische Kräfte


    Zuhause wartet schon Stefanie. Die hat sich wieder beruhigt, mehr als abwarten kann sie jetzt sowieso nicht. So nehmen wie es eben kommt. Die beiden Knappschritt-Schwestern machen sich für ihren Termin beim Reichsbahnamt zurecht. Kathrin soll zum Kadergespräch. Sie möchte die Qualifikation zum Fahrdienstleiter in Hennehof anfangen. Sie, als eine der Besten in der BuV-Facharbeiterklasse, hat beste Voraussetzungen dafür. Allerdings genügt Leistung, Können und Zuverlässigkeit allein nicht im Ökosozialismus Arbeiter- und Bauernstaat, nein, hier muss man auch das richtige Parteibuch haben. Das Kadergespräch dient der Vorbereitung dessen.


    Außerdem hat sich ihre Schwester für die nächste Abiturklasse des Reichsbahnamtes nachträglich beworben. Sie hätte aus der 10. Klasse in die Erweiterte Oberschule (EOS) als die Klassenbeste mühelos wechseln können. So wollte sie das aber nicht. Das, was die Schwester macht oder so etwas Ähnliches könnte ihr auch zusagen (schon wegen der freien Klamottenwahl). Mal sehen, ob das noch klappt. Die große Schwester scheint sich, trotz aller Unannehmlichkeiten und Vorkommnisse, auf ihrer Arbeit wohlzufühlen und darauf kommt es doch an. Beide haben ihren Termin heute bei der Personalleitung des Amtes hintereinander. Zweimal Knappschritt. Ob das gut geht?


    001-Aufsteigen


    Ein letzter Blick in den Spiegel der Flurgarderobe, die Helme aufgesetzt (sie wollen ja nicht so zerzaust dort erscheinen), die Taschen umgehängt und zur Tür raus. Rauf auf Kathrins Schwalbe und los. Nächste Woche kann Stefanie endlich ihre gelbe Simme beim IFA-Vertrieb abholen. Dann muss sie sowieso immer einen Helm tragen, also kann sie sich jetzt schon mal daran gewöhnen.


    002-Abbiegen


    Sie knattern die Straße des Friedens hoch, hinter Collid-Chemie links in die Brückenstraße abgebogen und weiter zum Thälmann-Platz. Dort auf die F2 und dann eine halbe Stunde Landstraße bis Cöselsbaude.

    Am Thälmann-Platz kommt gerade der Bus der Linie F nach Hohnstadt-Nord (Neustadt) an. Als Knut Rollenberg die Türen seines Ikarus66 schließt hört er ein lautes Zischen, dann spürt er einen Ruck als er den Gang einlegt. Nichts Ungewöhnliches bei den alten Kisten, es stinkt nach Diesel. Einige Insassen, vor allem denen die hinten sitzen, wird bei dem Geruch übel. Der Bus blinkt und ordnet sich in den Fließverkehr ein. Was Knut nicht bemerkt, ist die aufgeplatzte Dichtung am Dieseltank. In einem stetigen Strom ergießt sich Diesel auf das Schlackepflaster. Kaum zu sehen bei dem Belag.


    003-Autokolonne


    Freitagnachmittag und Feierabendverkehr. Die Straßen sind gut gefüllt. Kathrin und Stefanie sind in einer kleinen Fahrzeugschlange unterwegs und biegen gerade in die Straße zum Thälmann-Platz ein. In Höhe der Bushaltestelle geht plötzlich alles sehr schnell. Vorn in der Schlange kommt ein Fahrzeug ins Schlingern, gerät in den Gegenverkehr und stößt mit einem Lada frontal zusammen. Mehrere Fahrzeuge fahren auf oder kommen von der Spur ab. Auch auf der Fahrspur der beiden Schwestern kommen Autos nicht rechtzeitig zum Stehen und fahren ineinander. Mehrere Zweiräder rutschen weg, deren Fahrer können sich nicht halten und kommen an und unter anderen Fahrzeugen zum Liegen.


    004-Unfall1


    Kathrin nimmt Gas weg und will bremsen. Sie zieht am Bremshebel, aber nichts passiert. Irgendwas ist auf der Straße. Die Mädels können zwar die Aufrechte halten und stürzen nicht, rutschen aber mit ihrer Schwalbe auf einen Wartburg-Camping hinten drauf. Stefanie erwischt mit beiden Händen noch die hintere Dachkante des Wartburgs und schlägt eine Rolle auf dem Dach des Fahrzeugs. Mit beiden Füßen setzt sie bei der Landung auf den Scheibenwischern und der Motorhaube des Fahrzeugs auf und sitzt anschließend auf dem Dach. Im Rückschwung fällt sie auf das Dach zurück, schlägt mit dem Helm auf das Dach auf und bleibt dort erst einmal liegen.


    Kathrin lässt zwischenzeitlich beide Griffe des Lenkers los. Bremsen und kuppeln bringt auf die letzten Zentimeter sowieso nichts mehr, nur noch irgendwie abstützen. Plötzlich spürt sie das Knautschen ihrer Schwalbe unter ihren Füßen und eine unheimliche Kraft befördert sie mit einem kräftigen Schub nach oben. Ein weiteres Auto ist aufgefahren. Glück im Unglück, die Energie des Auffahrens katapultiert sie für eine Rolle auf das Dach des Autos vor ihr. Ihr Helm dient kurzzeitig als Drehpunkt und sie kommt ebenfalls auf dem Dach des Wartburgs auf dem Rücken liegend an, rollt nach rechts ab und steht schließlich in gebückter Haltung mit dem Blick nach unten neben dem Auto. Das Ganze dauert nicht mal 20 Sekunden, den beiden Schwestern kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor. Gerade als sich beide wieder einigermaßen fassen können und halbwegs sicher stehen oder liegen, stößt das nächste Auto hinten noch leicht drauf. Das war knapp.


    005-Schwalbenknaeuel


    Die Schwalbe ist nur noch ein Knäul, kaum noch unter dem Wartburg und dem 600er Trabant Kombi zu erkennen. Die Knappschritts setzen ihre Helme ab. Adrenalin wird durch beide Mädels gepumpt. Immer noch sichtlich geschockt, steht Kathrin neben dem Wartburg und betrachtet das umliegende Geschehen. Was war das? Kathrin nimmt die nächsten 15 Minuten wie einen Film war, der vor ihren Augen abläuft. Ringsum steigen die Autoinsassen aus ihren Fahrzeugen aus. Aus dem Wartburg, auf den die Mädels aufgefahren sind, steigen zwei Männer der Kreisdienststelle einer gewissen Behörde aus, auch denen steht der Schreck ins Gesicht geschrieben. Einen solchen Stunt, bei dem es Mädels regnet, hatten sie auch noch nicht. Dafür haben die Funk an Bord. So können sie die Schnelle Medizinische Hilfe und die Verkehrspolizei direkt anfordern. Man möge sich jetzt vielleicht fragen, was die Herren der Wahrheitsfindung in ihrem Bericht zu dem Unfallhergang schreiben werden (zu dem sie verpflichtet sind): „Es fielen Mädels vom Himmel?“ Wir werden es nicht erfahren.

    Kathrins 15. Arbeitstag in Hennehof – Zugtetris


    001-Morgen


    Freitag und trotzdem volles Programm. Heute Nachmittag stehen zwei wichtige Termine an. Nicht nur für sie. Kein Trödeln oder Quatschen nach Feierabend. Kathrin ist deswegen auch heute wieder mit ihrer Schwalbe nach Hennehof gefahren. Sie muss pünktlich nach Hause und da will sie sich nicht auf den 14er Zug verlassen müssen. Der Tag verläuft entspannt – normaler Betrieb, zweigleisig. So ist es zu ertragen. Einfach nur abmelden, wenn einer vorblockt, spätestens wenn er vorbeifährt. Da kann man mit den Nachbarn auch mal zwei Worte mehr wechseln.


    Gegen elf wird ein Sonderzug zum Militärgelände angekündigt. Die heutige Fuhre gleich nach Gleis eins (das geht ja jetzt dank der beiden neuen Weichen 46/47 ganz problemlos von Hohnstadt aus). Vor bis zum Signal C, dort die Reichsbahnlok abkuppeln und rüber nach fünf, die will im Moment keiner haben. Der Lokführer kann sich nun die Beine vertreten und Himbeeren pflücken, die gibt es reichlich da drüben am Feldrand.


    002-Militaerzug1


    Die Lok des Anschlusses kommt rausgerückt und will die Wagenschlange abholen. Claudia öffnet die Gleissperre, stellt die Weichen elf und zwölf wieder rum, Rangierfahrstraße eingestellt und Ra12 beleuchtet. Kaum ist das geschehen, traut sich die scheue Lok aus dem heimischen Wald und schiebt sich an die Flachwagen heran. Ob es eine Bremsprobe gibt? Das weiß keiner und will auch keiner wissen. Jedenfalls will man nach zwei Minuten schon wieder los und lässt etwas Druckluft durch das Horn strömen. Claudia macht Licht an C und der Zug zieht aus in den sagenumwogenen Militärwald.


    003-in-den-Wald


    Plötzlich hält die Fuhre wieder an und der letzte Wagen bleibt auf Weiche zwölf stehen. Zehn Minuten vergehen und nichts passiert. Es dauert und dauert. Claudia klingelt den Fernsprecher vor dem Rangiersignal an – keiner geht ran. Irgendwas muss da im Anschluss sein. Bloß was? Wie immer wollen die sich nicht helfen lassen. Vogel-Strauß-Politik eben.

    Der Mittagszug von Mehlsdorf kündigt sich an. Weiche zwölf ist immer noch besetzt – also muss der nach drei. Warum nicht nach zwei, fragt Kathrin. Damit die Reisenden den Bahnsteig schon gleich verlassen können und nicht erst warten müssen, bis der Zug weg ist. Einige haben es auch schon geschafft auf der vom Bahnsteig abgewandten Seite auszusteigen und über die Gleise zu latschen – Leute gibt es…


    004-Reisende-nach-drueben


    Kathrin darf Aufsicht spielen und muss runter auf die Fahrgäste aufpassen. Als Kathrin unten angekommen ist, macht Claudia eine Durchsage, dass der Personenzug heute von Gleis drei fährt. Die Leute begeben sich über den Übergang und bevor nicht alle wieder vom Mittelbahnsteig verschwunden sind, gibt es auch keine Zugfahrt durch zwei. Als der Dienstposten der Aufsicht hier noch besetzt war, war sowas normaler Alltag.

    Der Personenzug ist weg und schon kommt die nächste Meldung von Mehlsdorf. Noch ein Militärzug. Claudia flucht, sowas kann sie nicht ab, hätten die doch gleich sagen können. Immer diese Heimlichtuerei. Während sie noch überlegt, wo sie den jetzt noch abstellen soll, klingelt es von Mehlsdorf nochmal. Der Zug hat nur drei Wagen und soll mit dem anderen zusammen in den Anschluss. Aha – deswegen steht der da wohl noch rum. Hinter dem zweiten Militärzug hängt außerdem der 64533, der mit den Röhren, den kennt Kathrin ja noch. Hätten die auch alles eher sagen können. Keine Sekunde zu spät, denn gerade so lässt sich die Fahrstraße nach Gleis zwei für den Militärzug noch ohne Nummer zurücknehmen. Das Einfahrsignal A war noch nicht auf Fahrtstellung. Claudia ist bedient.


    005-Militaerzug2


    Also den Militärzug jetzt nach vier und den 64533 dann durch zwei. Der Mittagszug aus Hohnstadt muss so lange vor der Einfahrt warten, der Sicherheit wegen, denn eins ist ja immer noch blockiert. Kathrin darf gleich unten bleiben und Essen gibt’s später.


    006-volle-Huette


    Irgendwann löst sich das Knäuel unten wieder auf und der normale Betriebsablauf kehrt zurück. Die beiden Reichsbahnloks sind weg, Gleis eins wieder frei und bis zur Ablösung bleibt alles ruhig. Als die kommt, macht Kathrin zügig Feierabend. Schnell nach Hause, die Termine im Reichsbahnamt warten.


    007-Kathrin-nach-Hause

    Einberufungstag (Kathrins 14. Tag in Hennehof) – Teil 2


    Oben auf B2 in Hohnstadt. Ronald hat den Einberufungszug 89333 nach Hennehof vorausgemeldet, worauf er auch gleich die Erlaubnis erhielt. Benno beleuchtet das Ausfahrsignal mit den entsprechenden Farben für den eingleisigen Abschnitt, aber der Zug rührt sich nicht. Nach fünf Minuten ruft er die Aufsicht. Keiner geht ran. Lautsprecherdurchsage: „89333 Abfahren!“ Kurz darauf meldet sich die Aufsicht und schildert das Theater auf dem Bahnsteig. Benno winkt Ronald zu, er soll nachmelden, erst mal acht Minuten. In Hennehof fragt Kathrin nach, was denn los sei. „Na Schnuckie, die Miezen der Wehrpflichtigen können sich von ihren Männern nicht trennen. Die reißen immer wieder die Türen auf oder hängen sich an die Fenster und die Aufsichter bekommen die nicht gebändigt.“ Was er extra betont, denn er weiß, wer da unten Dienst hat und wie der mit Kathrin in Verbindung steht – sehr zu seinem Leidwesen.


    007-Zug-Hohnstadt


    In Hennehof geht man Frau die Sache ruhiger an. Kathrin teilt Simone mit, dass der Einberufungszug 89333 von Hohnstadt jetzt mit plus 24 nachgemeldet wurde. Bereits das dritte Mal und mit jeder Meldung waren es ein paar Minuten mehr. Ein zweiter Einberufungszug 89332 aus Richtung Mehlsdorf wird gemeldet, zwölf Minuten hinter Plan. Simone nimmt ihn nach Gleis 1. „Lass dich nicht am Fenster sehen“, meint sie zu Kathrin. Der Gegenzug aus Hohnstadt blockt endlich vor. Eine Kreuzung der beiden brisanten Züge war in Hennehof gar nicht vorgesehen, nun lässt es sich nicht vermeiden. Beide Züge sind deutlich später. Den von Hohnstadt nehmen wir lieber durch Gleis 3, nicht das da noch was Blödes passiert, meint Simone und zu Kathrin: „Melde den 33er weiter.“ Gerade als Kathrin die Meldung abgesetzt hat, rollt der mit einem Achtungspfiff durch drei. Simone huscht kurz ans Fenster – alle Türen zu, Schluss brennt, gut. Fahrstraße R3 löst auf, Kathrin dreht den Fahrstraßenhebel in Ausgangsstellung und blockt zurück. Den wären sie los. „Meld den zweiunddreißiger.“, gibt Simone die Anweisung an Kathrin, die sie auch sofort befolgt, worauf kurz danach die Erlaubnis aus Hohnstadt auf dem Pult erscheint. Die Weichen 43 und 44 in Minus und die 48 und 49 in Plus, der Fahrstraßenhebel K gedreht und die SF-Taste und die Streckentaste Hohnstadt gedrückt. Somit erstrahlt die Weihnachtsbaumbeleuchtung an Signal K. Aber der Zug fährt nicht ab.


    008-Hennehof-Diskussion


    Auf dem Bahnsteig stehen der Zugführer und einige Militärs. Es wird aufgeregt diskutiert. Kurz darauf werden vier Tussen unter heftigen Pfiffen aus dem Zug herausgeführt. Die Friedenswächter kennen hier kein Erbarmen. Aus dem Zug erklingt wieder die bekannte Melodie und die Wagenschlange klappert langsam über 43 und 44 aus dem Bahnhofsbereich. Die vier Mädels bleiben auf dem Bahnsteig zurück. Somit gibt es vier gestrandete Reisende in Hennehof. Simone schickt Kathrin runter, die Damen zu versorgen und ihr Weiterkommen zu organisieren. Die Mädels wollen erst mal zur Toilette. Kathrin schließt den Sozialraum auf und führt sie zu den Örtlichkeiten. Als sie wieder rauskommen, wollen die wissen, wo sie überhaupt sind und wie sie weiterkommen. Sie selbst kommen aus Hohenwulsch, Bismark, Siedenlangenbeck und Klötze. Eigentlich wollten sie ihre Männer doch nur bis zur Kaserne bringen und nun stehen sie hier. Frust und Enttäuschung macht sich breit. Kathrin fragt, wo sie jetzt weiter hin wollen. Bis Stendal, von da finden sie allein weiter. Gut, Kursbuch von oben geholt und die entsprechende Verbindung rausgesucht. Den Zettel mit den Anschlüssen überreicht Kathrin den vieren. Mit dem Personenzug um zwölf von Bahnsteig eins nach Hohnstadt. Dort Umsteigen und mit dem Eilzug nach Leipzig in die Gegenrichtung. Fahrkarten gibt es hier nicht mehr, die müssen sie in Hohnstadt kaufen, planmäßig haben sie dafür etwa 20 Minuten Zeit.


    009-Hennehof-Bahnsteig


    In Hohnstadt erwartet man derweil den zweiten Einberufungszug. Arne steht an einem Ende des Bahnsteiges, Strangowitz am anderen Ende und beobachten das Gewusel dazwischen.

    Unten wieder dasselbe Spiel. Anrücken der Streitkräfte mit vier LKW, verteilen der Schilder mit den Zahlengruppen, an denen sich die Einberufenen aufstellen sollen. Anhand der Postfachnummern der Einheiten, die auf den Schildern aufgeschrieben sind, können die neuen Rekruten erkennen, wo sie ab heute hingehören. So schnell wie sich der Bahnsteig oben geleert hatte, füllt er sich nun wieder. Abschied ist schmerzlich und Scheiden tut weh.


    010-POS


    Stefanie ist inzwischen doch wieder in der POS angekommen. Es ist gerade Pause und sie legt ihr Hausaufgabenheft auf den Lehrerstisch, schlägt es auf und schreibt mit rot hinein: Stefanie hat heute von 7:30 Uhr bis 11:30 Uhr nicht am Unterricht teilgenommen. So lässt sie es liegen und begibt sich wieder auf ihren Platz in der letzten Reihe. Ganz entgegen ihrer Gewohnheiten ist sie für den Rest des Tages sehr still und in sich gekehrt. Heute unterbrechen nicht die ermahnenden Rufe an Stefanie den Unterricht, sondern nur gelegentlich das leise Schluchzen von ihr. Weitere Schülerinnen folgen Stefanies Beispiel mit dem Hausaufgabenheft und das nicht nur hier in der 10b, sondern auch nebenan in der 9a. Die Klassenleiter unterschreiben die Einträge wortlos, ebenso Stefanies Vater am Abend ihren Eintrag.


    011-leerer-Bahnsteig


    Um eins sind alle vom Bahnsteig verschwunden, die Damen nach Stendal auch. Arne geht in die Aufsichtsbude und genießt zusammen mit Strangowitz sein Mittagessen. Der irre Tag ist fast vorbei und morgen hat er einen Tag Urlaub.


    012-B1-Hennehof


    Zur Ablösung der Schicht in Hennehof kommt Claudia. Die Kinder waren ab Mittag schon bei Oma – etwas Erholung von dem Gewusel. Ab 17 Uhr sind sie bei Papa. Ohrenschmerzen haben alle beide und die Kinder auch.

    Einberufungstag- Teil 1b – Doppeltes Lottchen


    005-Arne-Stefanie


    Auf Arnes Hemd breitet sich Rotz und Wimperntusche weiter aus, der Fleck wird ihn den Rest des Tages wohl begleiten. Die Verursacherin desselben schluchzt nur „Arne…“, hebt ihren Kopf und schaut ihn an.

    Das ist ja Stefanie! Jetzt dämmert es ihm. Den ganzen Sonntag war er ja noch bei Kathrin zu Hause, da war die noch aufgedrehter als sonst. Deswegen also, ihre Bekanntschaft aus dem Besen vom Samstag. Klar, deswegen wollte sie auch den knappen Bikini von Kathrin haben (den sie unter ausdauerndem Gemaule auch bekommen hatte), um damit den ganzen Sonntag im Freibad abzuhängen. Seit Montag war sie, ganz entgegen ihren Gewohnheiten, nachmittags nicht zu Hause und meist im Koga und gestern Abend wollte sie nochmal ganz dringend weg – bei einer Freundin eine Partie sexundsechsig spielen. Das Spiel verlief wohl heftiger als geplant. Arne kam gegen halb neun gerade aus dem Bad, da stürmte die „kleine“ Schwester verheult zur Haustür rein. Mutti Knappschritt und eigentlich jede gute Mutter hatte da so ein Gefühl und fragte sie eindringlich: „Du hast doch hoffentlich keine Dummheiten gemacht?!“ Keine Antwort ist auch eine Antwort. Kurz danach verschwanden beide – Mutter und Tochter – im Badezimmer, Stefanie sollte sich (unter der Anleitung von Mutter Knappschritt) in der Badewanne gründlich waschen, besonders an einer bestimmten Körperregion. Anschließend ging sie auf ihr Zimmer, wo das Geheule erst sehr spät langsam verstummte.


    006-Bahnsteig-Maedels


    Nun steht sie hier. Ihre Schultasche liegt neben den der anderen Mädels vor der Bahnsteigbank. Schule ist jetzt egal, da geht es heute nicht mehr hin. Erst mal eine Rauchen und dann? Ordentlich einen Trinken? Der Kiosk gegenüber hat zwar offen, verkauft aber im Moment keinen Alkohol. Erst wieder, wenn die beiden Einberufungszüge durch sind. Vier stramme Genossen der Trapo stehen Schmiere, also keine Chance. Und den Mädels geht es im Moment soooo schlecht. Wenigstens Stefanie hat erst einmal eine vertraute Stütze gefunden. Andere halten sich gegenseitig. Strangowitz schaut von weitem zu und schüttelt den Kopf. Arne sollte ja aufpassen, dass keine Person unter den ausfahrenden Zug kommt. Macht er ja gerade. Trotzdem muss er die Mädels jetzt langsam davon überzeugen zu gehen, denn die ersten Paare für den Gegenzug in einer viertel Stunde kommen schon auf den Bahnsteig. Dann beginnt das Schauspiel von Neuem.

    Einberufungstag- Teil 1a – Arne und Kathrin getrennt (auf der Arbeit)

    Kathrins 14. Tag in Hennehof


    Heute werden die Transportleistungen der Deutschen Reichsbahn im Personenverkehr auf besondere Art und Weise in Hohnstadt gefordert. Dafür wurde Arne extra wieder in die Aufsicht zurückbeordert – frische und saubere Uniform inclusive.


    Aber auch in Hennehof geht dieses Ereignis nicht unbemerkt an allen Beteiligten vorüber. Kathrin kommt heute früh um dreiviertel sechs die Treppe des B1 hinauf. Sie öffnet die Tür zum Stellwerksraum, leise Musik ist zu hören und Cordula und Nico umtanzen engumschlugen das Hebelwerk. Der Song „A white shade of pale“ von Procol Harum wird zum wiederholten Male durch das tiefe Brummen von einem Schiffshorn aus der Ferne unterbrochen.


    001-Personenzug-Einfahrt


    „Guten Morgen, da steht einer vor der Tür“, sagt Kathrin und schaut erst mal auf das Pult. Wo steht da was? Der Arbeiterzug aus Richtung Mehlsdorf erbittet Einlass. Sie eilt zum Zugmeldetisch, auch hier herrscht Gesprächsbedarf. Sie nimmt den Personenzug an und meldet ihn gleich danach nach Hohnstadt voraus. Zu Cordula: „Der kann kommen.“ Die macht Einfahrt nach eins und stellt den Fahrweg weiter nach Hohnstadt ein. Dann schreibt sie etwas auf die Verständigungstafel. Heute zügiger Fahrgastwechsel. Plus zwölf hat der Schichtarbeiterzug. Einige der Werktätigen werden heute wohl zu spät kommen.


    Die Ablösung hat heute auch plus zehn. Claudias Kinder sind krank und Simone ist für ihre Schwester eingesprungen. Simone geht zum Pult und macht nach einem Blick auf die nickende Kathrin Ausfahrt. Als der Zug kurze Zeit später am Stellwerk vorbeizieht, hält Cordula die Tafel zum Fenster raus. „Abschied…“ steht da drauf und der Lokführer nickt ihr verständnisvoll zu, schließlich war auch er mal bei Erichs Garden.


    Übergabe und Verabschiedung fallen dementsprechend kurz aus. Dann gehen Cordula und Mann zügig rüber in den Sozialraum des Empfangsgebäudes, ihrem gemeinsamen Domizil für die vorerst letzten gemeinsamen Stunden.

    Oben in der Kommandozentrale nichts Besonders, nur normaler Zugbetrieb. Kurz vor zehn beobachten die beiden Diensthabenden in Hennehof, wie Nico und Cordula in den Personenzug nach Hohnstadt einsteigen.


    002-Einberufung


    In Hohnstadt ist es weniger ruhig. Gedränge und Gewusel auf dem Bahnhofsvorplatz. Heute ist Einberufung. Die jungen Männer stehen in verschiedenen Gruppen unten auf dem Bahnhofsvorplatz und erfahren wo hin es hingeht. Dann sollen die einzelnen Gruppen sich in Dreierreihen aufstellen. Es dauert und immer wieder kommt es zu Gelächter und die Ordnung der Truppe gerät durcheinander. Unterfeldwebel Roland Drescher reicht es und er brüllt mit lauter Stimme: „Ruhe im Glied!“ Prompt kommt die Antwort aus der Frauenecke: „Dafür haben wir schon gesorgt.“ Wieder Gelächter und Gejohle. Das wird euch schon noch vergehen, denkt der angehende Feldwebel und befiehlt den Abmarsch nach oben zum Bahnsteig.


    003-Arne-Bahnsteig


    Strangowitz hat Arne bereits oben auf dem Bahnsteig eingewiesen. „Sei froh, dass du da noch nicht dabei bist, sonst würde deine Hübsche da drüben stehen und mit den anderen Tussies heulen.“ Er zeigt auf den Pulk Schul- oder Berufsschulmädchen – alle verheult oder so aufgedreht, dass sie ständig und ohne Pause kichern. „Die werden auch immer jünger, man, man, man, zu meiner Zeit hätts das nicht gegeben.“ Der Aufsichter schwärmt wieder mal von den guten alten Zeiten, in denen immer alles besser war. Weiter zu Arne: „Wenn die nachher hochkommen, lass die Aluminiumgeneräle das alles machen. Misch dich nicht ein. Wir sorgen nur dafür, dass der Zug sicher rein- und wieder rauskommt.“ Aus dem Bahnsteigtunnel dröhnen mahnende Worte der Eile nach oben und schon strömen die neuen Friedensbewahrer auf den Bahnsteig.


    Eine 118 schiebt sich langsam am Bahnsteig entlang, hintendran zwei DBv-Einheiten, die schon gut besetzt sind. Nicht der erste Halt heute. Einen Fahrplan gibt es für den Zug, aber der ist nur Makulatur. Der Befehl zum Einsteigen hallt über den Bahnsteig, aber die Hälfte der Truppe eilt zurück zu ihren Frauen oder Freundinnen. Der Abschied fällt schwer. Von vorn geht das Gebrülle und Sortieren los. Die ersten Weiber werden unter Buh-Rufen aus dem Zug geholt. Auf dem Bahnsteig nimmt die Anzahl der männlichen Anwesenden rapide ab, übrig bleiben unzählige Frauen und Fräuleins, die letzteren überwiegen. Die Berufsschulen, die EOS und auch die 9. Und 10. der Polytechnischen müssen ja fast leer sein. Es sieht so aus, als wären alle Mädels der Stadt hier.


    004- Bahnsteig-Zug


    Nur mühsam gelingt es den Zug abfahrbereit zu machen. Immer wieder werden die Türen geöffnet und entweder werden weitere Frauen nach draußen geleitet oder andere springen wieder in den Zug, hängen sich an die Fenster oder einem Jüngling ist der Trennungsschmerz zu groß und er muss nochmals nach draußen und seiner Liebsten Lebewohl ins Ohr flüstern. Nach weiteren zwanzig Minuten und drei Nachmeldungen fährt der Zug unter einer aus dem Zug vielstimmig vorgetragenen Melodie aus. „Abschied von Sex und fetten Weibern, Abschied von Hasch und LSD, jeder Abschied, der ist traurig doch dieser der tut weh, …“


    Als sich der Bahnsteig fast geleert hat fällt ein Mädel in einem gelben Pulli und einer bluegrass Stretch-Jeans Arne um den Hals. Seine frische Uniformbluse, von Kathrin in Muttis Waschmaschine mit gewaschen, wird mit Tränen und Wimperntusche versaut. Schade. Wer ist das?

    Anja die verflossene? Cordula, seine erste Tanzpartnerin vom Freitag? Unter der vielen Schmiere ist das Gesicht fast gar nicht zu erkennen. Wer könnte das sein?

    Kathrins 13. Arbeitstag in Hennehof – örtliche Prüfung


    Ein normaler Arbeitstag. Naja fast. Arne sitzt heute bei den Rangierern in der Bude seine Zeit ab. Als er früh bei seinem Oberausbilder im Büro war, hat der nur genickt und gesagt, dass sich für ihn, also Arne, personell etwas ändern werde, was, hat er aber nicht konkret verlauten lassen. Dafür die üblichen Durchhalteparolen, nachdem die alle aufgesagt waren war es bereits neun und die Rangierabteilung zur Chemiebude schon raus. Trotzdem sollte Arne rüber, nur noch heute – morgen werde er wieder in der Aufsicht gebraucht. Allerdings war auch die Hofdame schon im Gelände unterwegs und der Aufenthaltsraum bei Arnes Ankunft leer. So hat es sich der Lehrling auf der alten Couch in der Ecke bequem gemacht und lässt die Zeit vergehen. Er denkt an seine Kathrin.


    001-Rangirerbude


    Die hat heute örtliche Prüfung, aber erst nach dem Mittag. So lange muss sie sich mit anderen Gedanken beschäftigen. Am Pult regiert heute wieder Simone, der der nachdenkliche und angestrengte Blick Kathrins nicht entgangen ist. In einer weiteren Grübelpause Zugpause meint sie: „Ach, unser Zugmeldebuch ist ja fast vollgeschrieben.“ Kathrin nickt, sagt gedankenverloren: „Ja nur noch ein paar Seiten.“ Und starrt aus dem Fenster. Die Füchsin wäre nicht die Füchsin, wenn sie das nicht hinbekommen würde. „Komm mal rüber.“, sagt sie zu Kathrin und tritt an den großen grünen Blechschrank heran. Dort zeigt sie auf einen Stapel lose Blätter – Formularvordrucke Zugmeldebuch für zweigleisige Strecken. „Nimm mal 15 Stück davon raus.“ Kathrin tut wie angewiesen und schaut Simone mit ihren großen Rehaugen an. Die grinst ein Füchsingrinsen und führt Kathrin zu ihrem Arbeitsplatz zurück. „Die müssen wir – also du – heute zusammenheften und mit einem Deckblatt versehen. So bekommen wir ein neues Buch.“ Simone holt Stopfnadel und Sternzwirn aus dem Schreibtisch und legt sie auf Stapel Blätter. „Zusammennähen?“, fragt Kathrin ungläubig. „Ja was denn sonst. Fang an, dann hast du was zu tun.“ Kathrin beginnt ihre Nähstunde, die immer wieder von Zugmeldungen und den dazugehörigen Fahrten aus beiden Richtungen unterbrochen wird. Die Blockrelais in den Gestellen nebenan im Relaisraum rattern aller fünf bis sechs Minuten in mehreren Takten dazu passend vor sich hin. Die beiden Damen oben im Stellraum tun ihr übriges dafür.


    002-Relaisraum


    Gegen zehn Uhr ist sie mit dem Heften fertig. Simone will sie aber nicht wieder in ihre Gedankenwelt entlassen und holt zum nächsten Schachzug aus. „Kathrin, hast Du eigentlich schon mal mit der BASA in die Ferne gewählt?“ „Ja, nach Hohnstadt zum Lehr.“ Simone schüttelt den Kopf und lächelt. „Das ist doch nicht in die Ferne, das ist um die Ecke. Schau mal, zum Beispiel nach Rostock.“ Simone breitet die Netzknotenkarte auf dem Pausentisch aus. „Es wird von Knoten zu Knoten gewählt. Auf der Karte siehst du die Nummern, die dich von einem Knoten zum nächsten Knoten bringen. Du suchst dir einen Weg nach Rostock und setzt die Knotennummern in der Reihenfolge von hier bis nach da zusammen, dann kommt hinten dran noch die Apparatenummer. Du kannst auf unterschiedlichen Wegen zu einem Ziel wählen.“ Kathrin nickt interessiert, na also das klappt doch prima. „Such dir mal fünf Fernziele raus und schreib mal die Nummern auf, dann bekommst du ein wenig Übung.“ Kathrin sucht sich ihre Lieblingsorte der Republik heraus (drei davon oben an der See) und puzzelt die Nummern zusammen. Nach einer halben Stunde ist sie auch damit fertig.


    003-Weitblick


    Als Simone die Nummern kontrolliert, fragt Kathrin von ganz allein: „Und wie kommt man in das Postnetz?“ „Das kommt drauf an, was dein Apparat für eine Berechtigung hat. Wir hier können direkt alle Notrufnummern mit einer 02 davor anwählen. Für andere Teilnehmer müssen wir über die Zentrale Hohnstadt gehen.“ Kathrin nickt eifrig „Ja, die kenne ich, das ist im Raum der Fahrkarte in Hohnstadt.“ Sie selbst hatte des Öfteren beobachtet, wie Rita Gespräche verbunden hat – erklärt hat sie ihr das allerdings nie, Kathrin hatte aber auch nicht danach gefragt. Der Zugverkehr rollt weiter vor sich hin – 11:15 Uhr – noch knappe zwei Stunden bis zur Prüfung.

    „Weil wir gerade dabei sind – hast du dich schonmal unten im Keller umgesehen?“ „Nein, warum sollte ich?“ Kathrin schaut wieder skeptisch. Ob die den Braten riecht? Und selbst wenn, so ist die wenigstens beschäftigt. „Ich rufe mal den Herrn Räumer an, ob er dir mal die Heizung zeigt. Denn samstags und sonntags müssen wir selbst heizen.“ Nach einem Telefonat und einer Durchfahrt des Schnellen nach Karl-Marx-Stadt kommt Otto der Bahnhofsarbeiter hoch und fragt, wer die Heizung sehen will. Simone zeigt auf Kathrin und grinst wieder. Der Bahnhofsschrat macht eine kommende Handbewegung, die Kathrin auffordert mit in die Heizungsräume des Stellwerks und des Empfangsgebäudes zu kommen. Otto hatte Kathrin beim Brigadefest zum ersten Mal richtig gesehen. Das ist also die Neue mit den Rehaugen. Na gut. Beide gehen erst nach unten und dann rüber zum Bahnhofsgebäude.


    004-rueber-Empfangsgebaeude


    Kathrin wollte schon widersprechen: „Wer macht denn solange die Zugmeldung?“, aber Simone meinte nur, dass sie das vor Kathrin schon oft genug allein gemacht hat und das immer noch ganz gut kann. Also ab. Otto erklärt ihr alle theoretischen Dinge der Heizung, wovon Kathrin nur die Hälfte versteht, zum einen wegen der Aussprache und zum anderen wegen dem Fachchinesisch. Dabei öffnet Otto nach und nach alle Klappen, zeigt ihr das Schürwerkzeug und den Aschekasten. Alles leicht staubig. Kathrin nickt immer wieder, will aber selbst nichts anfassen. Zum Schluss bringt Otto alle Klappen wieder in die Ausgangsstellung und erzählt weiter. Wenn wieder geheizt werden muss, beginnt er immer selbst die Öfen, auch im Empfangsgebäude, anzuheizen. Darum müsse sie sich nicht kümmern, er ist ja hier. Nun noch einen Blick in den Kohlenkeller und auf die Luke, von wo die Brennelemente hineingeschüttet werden. Nach gut einer Stunde sind sie wieder oben. Halb eins – Mittag. Otto hat die Kübel gleich mitgebracht und wartet, bis die beiden sich ihr Essen aufgetragen haben. Mit einem brummigen Wiedersehn nimmt der das Leergut gleich wieder mit und begibt sich in seine kleine Kammer im Empfangsgebäude.


    005-Otto-zurueck


    Kathrin hat Hunger, trotzdem bekommt sie kaum was runter. Ab zehn vor eins lässt sie die Uhr über der Fensterfront nicht mehr aus den Augen. Der Minutenzeiger rückt langsam – zu langsam – auf ein Uhr zu. Kurz vor eins poltert es von unten und Stimmen sind zu hören. Der Bahnhofschef Hahn und der Oberlehrmeister kommen die Treppe hoch. Die Tür geht auf und nach einer kurzen Begrüßungsrunde fragen die beiden Herren, ob Kathrin bereit wäre. Die nickt nur und es geht los. Die örtliche Prüfung für Kathrin beginnt.

    Mit Claudia hatte sie ja letzte Woche die Verhaltensregeln besprochen – die ist jetzt nicht da, aber mit Simone läuft es genauso gut. Nur zweigleisiger Regelbetrieb in beide Richtungen. Es werden von der Fahrdienstleiterin die Zugnummern und die Abfahrtszeiten genannt und von Kathrin diese dem Nachbarn ins Ohr geblasen und notiert. Genauso von den Nachbarn – die ja wissen was los ist – kommen die Zugnummern und die voraussichtlichen Durch- oder Abfahrtszeiten. Diese werden der Fahrdienstleiterin ordentlich mitgeteilt. Die Durchfahr- bzw. Abfahrzeiten schreibt Kathrin selbstständig ein. Hahn stellt zwischen dem normalen Betriebsgeschehen noch Fragen zum Rückmelden. Zum Gefahrenruf, zu den möglichen Ersatzverbindungen zur Meldung oder zur Meldung an den Dispatcher will er nichts wissen. Lehr hat auch keine Fragen weiter, eine Stunde reicht ihm.


    006-B1-Normalbetrieb


    Geschafft, Lehr unterschreibt das Prüfungsprotokoll. Gut so. Simone hatte beobachtet, dass Hahn bereits bei seiner Ankunft unterschrieben hat, der hatte ja eine komplette Schicht mit Kathrin schon abgeleistet. Was gab es da noch zu prüfen? Kathrins Dienst in Hennehof als Zugmelder ist sicher. Nächste Woche noch den theoretischen Kram in der Berufsschule schreiben. Termine für eine Nachprüfung sind dafür erst gar nicht angesetzt worden. Wäre ja schlimm, wenn sie die nicht schaffen würde.

    Die Ablösung kommt gerade die Treppe herauf und die Herrn vom Militäranschluss klingeln an. Karola darf sich das gleich mal zu Beginn ihrer Schicht antun. Prima Start. Der Raum leert sich, es wird übergeben, beglückwünscht, verabschiedet und Karola übt russisch.

    Kathrins zwölfter Arbeitstag in Hennehof - Streckeneröffnung


    Kathrin ist müde. Der Wecker hat sie um 4:30 Uhr aus dem Bett geklingelt. Nachdem Arne weg war, wollte der blöde Kater sie nicht mehr richtig schlafen lassen. Nun müht sie sich nach unten. Dort in der Küche brennt schon Licht, ihre Eltern machen sich auch für ihren Arbeitstag bereit. Der Duft von frischem Kaffee hat sie den Weg finden lassen. Erst mal das nötige Koffein einhelfen, dann geht auch der Rest. Trotzdem ist es irgendwie ungewöhnlich ohne ihren Arne aufzustehen. Beide sind gespannt, wie alles weitergehen wird. Kathrin selbst wird bald regelmäßigen Schichtdienst haben und bei Arne wird es nicht anders werden. Heute ist er den letzten Tag für ihn drüben. Hat sich gestern noch die olle Schwalbe von seinem Kumpel geholt und ist heute früh mit dem alten Blechanhänger los. Er hat dort Bier gekauft, naja wenigstens steigt er dafür nicht mehr in irgendeinen Zug. Kathrin grinst vor sich hin – ein neuer Arbeitstag kann kommen.


    000-Honhstadt-Sonnenaufgang


    In Hennehof ist heute großes Aufatmen – das zweite Streckengleis wird wieder in Betrieb genommen. Dienst mit Simone, das Übliche und nichts Besonderes. Die Gleisbauer packen ihre Sachen, die Liegestühle sind im Bauwagen verstaut, die leeren Bierkisten zurück zum Konsum gebracht und die Zigarettenkippen aus dem Gleis gesammelt. Dirk und Holger befahren zusammen mit dem Bauleiter im SKL noch einmal das Baugleis – auch dort den Müll einsammeln. Nicht der Bauleiter, der inspiziert. Ein letzter Blick auf die ehemalige Baustelle. Ist alles weggeräumt? Ist alles fertig? Nach einer Stunde geht es zurück nach Gleis fünf, die beiden Helden der Arbeit werden diese Baustelle vermissen.


    001-Inspektion


    Oben auf B1 wird eine Probefahrt als Sperrfahrt mit einem Zug von Hohnstadt vorbereitet, verbunden mit einer Funktionsprobe des Streckenblocks auf dem Gleis Hohnstadt-Hennehof. Mit dem Andrücken einiger Relais hat das ja schon gut funktioniert. Nun folgt die Funktionsprobe der Gleiskontakte mit einem Zug, der gerade gemeldet wird. Simone stimmt zu und Kathrin nimmt ihn an. Er bekommt Einfahrt nach Gleis drei, Simone blockt und Kathrin meldet nach seiner Ankunft zurück. Die Lok setzt über Gleis eins und die neuen Weichen 46-47 wieder an den Zug nach drei um. Nach einer Bremsprobe wird dieser Zug wieder auf dem falschen Gleis nach Hohnstadt als Sperrfahrt vorausgemeldet. Den Fahrauftrag bekommt er von Kathrin schriftlich übergeben.


    002-umsetzen


    Oben wieder angekommen, spricht Kathrin wieder das Thema Prüfung an. „Mach dich nicht verrückt.“, meint Simone, „wir zusammen werden das schon rocken.“ Kathrin will noch was sagen, da meldet sich Hohnstadt schon wieder auf der Zugmeldeleitung und das Thema ist damit erledigt. Eine zweite Probefahrt wird gemeldet. Diesmal nimmt Simone die nach Gleis eins. Das gleiche Prozedere wie beim ersten Zug. Nur setzt die Lok jetzt von Gleis drei nach Gleis eins um und verschwindet nach der vorgeschriebenen Bremsprobe über das rechte Gleis nach Hohnstadt. Nach einer halben Stunde kommen Hahn, Gründraht, der Bauleiter sowie der Chef der Bahnmeisterei alle hoch auf das Stellwerk. Die Probefahrten auf dem neuen Gleis haben ergeben, dass alles in Ordnung ist. Damit meldet der Bauleiter das Gleis Hohnstadt - Hennehof frei und befahrbar. Simone hebt mit einem Lächeln die Sperrung des Gleises auf. Die Freigabe der Strecke Hohnstadt – Hennehof ist somit erfolgt und der Betrieb läuft wieder zweigleisig im Regelbetrieb. Zur Sicherheit erhält der erste Zug in Hohnstadt noch einen Befehl: Erster Zug nach Oberbauarbeiten. Das Zugmeldebuch wird ab jetzt wieder ohne Sperrvermerk und wie für eine zweigleisige Strecke vorgesehen, weitergeführt. Für zwei Züge noch mit Rückmeldung, nach den beiden kann aber auch darauf von und nach Hohnstadt verzichtet werden.


    003-Einfahrt-S


    Kurz vor Mittag klingelt die BASA. Kathrin nimmt ab. Zu ihrer Überraschung ist die Personalleiterin des Reichsbahnamtes dran und schlägt ihr einen Termin für Freitagnachmittag zu ihrer weiteren beruflichen Entwicklung vor. Außerdem hat sich eine Stefanie Knappschritt für einen Platz in der Abiturklasse des nächsten Jahres nachträglich beworben. Das ist doch ihre Schwester? Ob sie die gleich für einen anschließen Termin mitbringen könnte? Man möchte sie erst einmal kennenlernen, bevor es einen offiziellen Termin mit den Eltern gibt.


    Feierabend. Zu Hause teilt Kathrin der Schwester den Termin beim Reichsbahnamt mit. Die will sich gleich wieder Klamotten von Kathrin dafür reservieren. „Nö lass das mal! Du gehst so, wie du immer in die Schule gehst. Du hast doch gehört, was Vati gesagt hat.“, entgegnet Kathrin, „Geh mal lieber zu Wiebke. Die kann dir bestimmt ein paar Tipps geben. Die hatte doch erst einen Termin bei der Personaltante der Stadtwirtschaft. Du hast dich ja vorher noch nirgendwo beworben. Wäre bestimmt ganz nützlich.“


    004-Knappschritts-Haus


    „Auch zu Johann Zuckschwert zu gehen wäre nicht schlecht.“ Stefanies Gesichtszüge entgleisen. „Zu dem???“ „Was ist los, du hast dich doch sonst auch nicht so?!“ Stefanie mault mal wieder. „Aber gerade zu dem.“ „Ja gerade zu dem! Der weiß mehr als du denkst. Den haben die doch voriges Jahr beim Baukombinat auch noch angenommen und die nehmen doch jeden immer nur die besten Bewerber.“ Stefanie sucht immer noch nach Ausreden. „Und wenn der sich mehr für mich interessiert?“ „Ach Quatsch, du willst doch nur wissen, wie das bei der Personalabteilung so abgelaufen ist. Mehr gibt es nicht. Auch nicht ausgehen. Du bist vergeben! Der würde hinterher doch nur „Stefanie“ auf seiner Liste abhaken.“ Die „kleine“ Schwester fragt kleinlaut. „Kathrin, kommst Du mit?“ „Ja, aber ich warte unten vor der Tür. Und Mutti sagen wir von Freitag auch noch nichts. Die fällt sonst aus allen Wolken, wenn die das erfährt. Die denkt doch noch immer, du gehst nächstes Jahr zur EOS.“


    005-Stadt


    Die Schwestern machen sich zu Fuß auf den Weg, um Informationen einzusammeln. Bei Wiebke erfahren sie, was die von der Personalabteilung so alles von ihr wissen wollten. Neben Zeugnissen und persönlichen Interessen natürlich auch wie sie sich gesellschaftlich engagiert. Ist sie in der FDJ? Macht das Lernen Spaß? Was sind ihre Ziele – für sich selbst und für die Gesellschaft. Welche Vorstellungen hatte sie von der Arbeit in der Stadtwirtschaft. Alles solcher Kram, also auch nicht viel Neues.

    Dann kommen sie zu dem eigentlichen Zweck ihres Besuches. Wie hat der Johann das damals gemacht, um doch noch in die Abiturklasse der Betonbauer zu kommen? Davon weiß Wiebke nichts, nur, dass der Johann in zwei Verfahren vor Gericht erscheinen musste. Marion und Bettina wollen von ihm für ihre Kinder Unterhalt. Zeugen hatten ihn mit Marion zusammen im Besen gesehen. Auf dem Billardtisch. Gut, das sind auch interessante Infos, aber leider nicht die, die sie jetzt gerade suchen. Mehr wisse sie nicht? Nein. Dann Verabschiedung und zu den Zuckschwerts gegangen. Da läuft es noch schlechter. Johanns Mutter kommt raus an die Haustür. Ohne die Mädchen zu Wort kommen zu lassen, legt sie los: „Schert euch weg! Ihr wollt doch alle nur Geld von meinem Sohn. Ihr habt wohl noch nicht gemerkt, dass hier nichts zu holen ist. Jede Woche neue Weiber hier.“ Rumms ist die Tür zu. Das war es hier.


    006-Abfertigung


    Die beiden Schwestern gehen wieder nach Hause. Arne müsste gleich da sein. War er auch, bekommt sie von ihrer Mutter zu hören. Hat mit Vaddern das Sternburger verkostet und ist dann das olle Moped wegbringen gefahren. Der Anhänger steht noch vor der Tür, ein Kasten Bier steht oben an der Haustür, den will er nachher mit nach Hause nehmen. So hat jede Familie einen Kasten dieses edlen Gebräus erhalten.


    007-Anhaenger-vor-Tuer


    Kurz vor halb sieben kommt Arne in den Garten hinter, das Tor ist nie verschlossen und er kennt den Weg inzwischen. Mutter Knappschritt hatte schon vorgeschlagen dem neuen Familienmitglied einen Schlüssel für das Haus zu überlassen. Vater Knappschritt war aber noch dagegen – erst mal abwarten, wie sich das Ganze noch entwickelt.

    Beim gemeinsamen Abendessen zeigt Arne seinen Tätigkeitsnachweis und die Empfehlung zum Kleinlokführer. Kathrin hat eher gemischte Gefühle, sie kennt keinen, der lange auf der Kleinlok geblieben ist. Sie denkt dabei an das Gespräch mit der Karin aus Mehlsdorf, deren Mann ist ja auch immer unterwegs und oft nicht zu Hause. Will Kathrin das wirklich?

    Jedenfalls muss Arne morgen erst mal zum Lehr ins Büro, dann wissen beide mehr.